„Don Giovanni“ mehr Schwerenöter als Dämon in Salzburg

Salzburg (dpa) - Der Beginn war ein Coup. Unbemerkt war Dirigent Christoph Eschenbach im fast völlig abgedunkelten Salzburger Haus für Mozart vor sein Orchester getreten. Die düsteren Tutti-Schläge am Anfang der Ouvertüre von Mozarts „Don Giovanni“ überfallen das Premierenpublikum unvorbereitet.

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Dann öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf eine Hotellobby im schweren, Holz getäfelten Stil der späten 1920er Jahre. Don Giovanni legt sich schwarze Kriegsbemalung an. Für ihn, den hemmungslosen Hedonisten, der für seine „Selbstverwirklichung“ über Leichen geht, so die Botschaft, ist das Leben ein Krieg.

In einem pointiert-konservativen Essay im Programmheft zu dieser ersten Opern-Neuinszenierung der diesjährigen Salzburger Festspiele hatte der Regisseur Sven-Eric-Bechtolf, im Hauptberuf Theaterdirektor des Festivals, darüber räsoniert, wie schwer es doch sei, diesen Giovanni in einer „durch und durch sexualisierten Zeit“ zu inszenieren. Wie solle man dieses Stück in einer von allen Normen und Tabus befreiten Zeit vergegenwärtigen, das doch auf eine Welt angewiesen sei, „die der Sexualität ihren Respekt wenigstens durch Unterdrückung erweist“. Gut gebrüllt.

Allein, in der Inszenierung ist davon wenig bis nichts zu bemerken. Nur edle Interieurs, schöne Körper, schöne Stimmen, schöne Melodien. Ildebrando D'Arcangelo, Superstar des Abends, gibt den meist breitbeinig an der Rampe stehenden „Latin Lover“. Das Zerrissene, das Dämonische dieser Figur wird in dieser eindimensionalen Sichtweise unterschlagen. Auch wenn Bechtolf den Leibhaftigen mit Zeigefinger-Symbolik als Barkeeper hinter den Tresen des Edelhotels (Bühne: Rolf Glittenberg) stellt und zu Giovannis finaler Höllenfahrt gleich einen ganzen Trupp gehörnter Teufelchen aufmarschieren lässt.

Brav buchstabiert Bechtolf Lorenzo da Pontes Libretto durch, garnierte die Handlung höchstens mit ein wenig Slapstick. Leporello (Luca Pisaroni), Don Giovannis willfähriger Diener, wirkt als Buster-Keaton-Verschnitt etwas harmlos. Auch die Damen, Donna Anna (Lenneke Ruiten) und Donna Elvira (Anett Fritsch), lassen trotz vokaler Potenz dramatische Fallhöhe vermissen.

Donna Annas Rachearie - Giovanni hatte schließlich den Komtur, ihren Vater, erschlagen - verpuffte weitgehend. Am Ende geht Giovanni am „kalten Händchen“ des Komtur-Wiedergängers programmgemäß zugrunde, um dann unprogrammgemäß wieder aufzustehen und, geübt ist geübt, einem Serviermädchen nachzustellen. Dabei zwinkert der alte Schwerenöter dem Publikum schelmisch zu. Doch alles nur ein Spiel? Alles halb so wild?

Bechtolfs Konzept fand seine Entsprechung im Orchestergraben. Eschenbach frönte einem romantisierenden Schönklangideal und versuchte mit breiten Tempi und Lautstärke wettzumachen, was seiner Interpretation an innerer Dramatik abging. Auch das Sängerensemble wirkte oft übersteuert. Wer ein paar Tage zuvor gehört hatte, welch metaphysische Tiefe Originalklang-Altmeister Nikolaus Harnoncourt den letzten drei Mozart-Symphonien entlockte, dem wurde wehmütig zumute angesichts der Vorstellung, was man aus Mozarts tausendvielschichtiger Wunder-Partitur hätte machen können.

Routinierter, wenn auch kurzer Jubel für alle Sängerinnen und Sänger, die Wiener Philharmoniker und den Philharmonia Chor Wien, ein paar kräftige Buhs für Bechtolf und sein Team. Im nächsten Jahr vervollständigt Bechtolf seinen Salzburger Mozart/Da-Ponte-Zyklus. Nach einer sehr kritisch beurteilten „Cosi“ im vergangenen Jahr hofft man nach dem lauen Abend für den „Figaro“ - dann mit Dan Ettinger am Pult - auf eine deutliche künstlerische Steigerung.