Ian Bostridge und ein neuer Händel
Der britische Star-Tenor gastierte mit der Northern Sinfonia.
Düsseldorf. Bei Händel weiß man nie, ist er nun ein deutscher oder ein englische Komponist. Tohallenchef Michael Becker hatte in seiner Einleitung auf das Problem hingewiesen und sich für eine Einladung an Ian Bostridge und die Northern Sinfonia entschieden, um den Deutschen eine musikalische Händel-Begegnung der ganz Art zu bieten. Er sollte vollauf Recht behalten.
Seit einiger Zeit ist Bostridge auf der Suche nach der Tenortradition im Werke Händels. Er hat Rezitative und Arien zusammengestellt, die Zeugnis ablegen von Händels Vielseitigkeit in Sachen psychologischer Seelenerforschung. Seine CD "Great Händel" ist ein wunderbarer Beleg dafür. Doch wie viel großartiger wird es, wenn man Bostridge live im Konzert erleben darf.
Ein feingliedriger junger Mann betritt das Podium in elegantem Abendanzug. Er strahlt Bescheidenheit und den Hang zur Selbstversunkenheit aus. Bevor er eine Arie beginnt, scheint er nachzudenken, ob er die richtige Stimmung dafür hat. Wie aus einer anderen Welt setzt er an und entführt sein Publikum mit vorsichtigen Schritten in Regionen musikalischer Reflexivität, die man so nicht kannte.
Seine Stimmführung ist hochkultiviert, die Atemkontrolle auch bei langen Koloraturbögen makellos. Jede Regung ist ihm gleich wichtig, egal ob lyrisch oder jubilierend. Unter seiner Gestaltung wird aus jeder Arie ein eigenständiges Kunstlied, ein Kosmos, in vollendeter britischer Diktion und doch so innig und wahrhaftig wie bei Schubert oder Schumann. Die beiden Facetten Händelscher Musik werden selten so deutlich spürbar wie hier.
Bostridge ist ein Ausnahmekünstler, genial in der Dimension und zugleich ganz nahe in seiner unverkrampften Gegenwärtigkeit. Es beginnt mit dem verhaltenen Messias-Rezitativ "Comfort ye", es folgt die stürmische Arie "Every valley". Ergreifend seine Interpretation von "Waft her, angels" aus dem Oratorium "Jephta" und die bis zu Todesgedanken führende Liebesverzweiflung des "Scherza infida" aus "Ariodante".
Die Northern Sinfonia unter Bradley Creswick musiziert auf Augenhöhe. Hier wird ein Händel zum Klingen gebracht, wie man ihn selten hört. Das gilt nicht nur für die Arien, in denen Bostridge alle Freiheit gelassen wird, seinen eigenen inneren Rhythmus und die jeweils angemessene Ausdruckskraft zu finden.
Auch die beiden "Concerti grossi" verwandeln sich unter Creswick zu dramatischen Dialogen, in denen die einzelnen Instrumente eine fast autarke Klangkraft gewinnen. Ein Fagott, eine Oboe stehen wie Sänger im Raum. Das bringt Hochstimmung, und das Publikum dankt überschwenglich.