Julia Holter: Traumpop-Elfe im Techno-Tempel

Berlin (dpa) - Das Berliner Berghain ist für ausschweifende Partynächte weltbekannt. Wenn zwischen den dicken Mauerm des Berliner Techno-Tempels eine zarte Indiepop-Elfe wie Julia Holter auftritt, ist das schon mal ein schöner Kontrast.

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Aber dann auch wieder nicht zu sehr. Denn Holter kommt selbst von der elektronischen Musik, wenn auch von der sehr feingeistigen. Mit ihren frühen Studioplatten „Tragedy“ (2011) und „Ekstasis“ (2012) operierte sie im Grenzbereich zu Klassik und Singer-Songwriter-Musik. Mit „Loud City Song“ (2013) wandte sich die US-Amerikanerin dann stärker Richtung Art-Pop. Und dieses Jahr legte Holter mit der fabelhaften Songsammlung „Have You In My Wilderness“ nicht nur ihr Meisterwerk vor, sondern erstmals ein komplett zugängliches, auch emotional berührendes, gleichwohl immer noch hoch anspruchsvolles Pop-Album.

Die wärmeren, weniger abgehobenen Klänge der „Wilderness“-Lieder stehen also am Donnerstagabend in der martialischen Betonkulisse des Berghain im Mittelpunkt. Mit einer ungewöhnlichen Live-Besetzung neben und hinter sich - Geige, Kontrabass und Schlagzeug - verbreitet die Sängerin und Pianistin zunächst ein Gefühl von Nervosität und Überspanntheit. Es dauert eine Weile, bis sich die Verkrampfung löst und Holter lächelnd mit dem erwartungsvollen Publikum in der ausverkauften Panorama-Bar kommuniziert.

Musikalisch ist das, was da auf der Bühne passiert, freilich von Anfang an über jeden Zweifel erhaben. Julia Holter, die einen Uni-Abschluss in elektronischer Musik hat und spürbar viel von Kompositionslehre versteht, singt fantastisch mit ihrer edlen, glockenklaren Stimme. Aus ihren rot umrandeten Keyboards zaubert sie raffinierte Soundgemälde und manches feine Mini-Solo. Ihre drei Mitstreiter können auf diesem Qualitätslevel durchaus mithalten, vor allem Devon Hoff am Standbass liefert eine formidable jazzige Grundierung für Holters Song-Preziosen.

Musik wie diese birgt die Gefahr, zu klug und zu konstruiert für den schlichten Live-Genuss zu sein. Auch die eineinhalbstündige, hübsch illuminierte Holter-Show in Berlin ist nicht frei von einer gewissen intellektuellen Kühle. Zumal die 30-Jährige mit den langen dunklen Haaren auch so gar nichts kumpelhaft Ranschmeißendes hat. Songs und Sounds zum Abtanzen im Club kann und will sie also nicht bieten.

Der traumhaft schöne Titelsong, das von einem Spinett eröffnete „Feel You“, der Triphop-Jazz „Vasquez“, orchestral aufgeladene Balladen wie „How Long“, „Lucette Stranded On The Island“ oder „Night Song“, das teilweise von Holter frech gepfiffene „She Calls Me Home“ - solche Stücke packen den Hörer im Berghain auf andere Weise. Nicht mit hämmernden Endlos-Beats, sondern mit ihrer erlesenen Mischung aus Kunstwillen und Gefühlstiefe.

Julia Holter ist womöglich - man traut sich kaum, einen so großen Vergleich zu ziehen, aber irgendwie passt er - die Kate Bush dieser Popgeneration, zumindest aber die Björk dieses Jahrzehnts. Und auch unter Live-Bedingungen eine beeindruckende Künstlerin. Dass am Donnerstagabend zeitgleich im Berliner Admiralspalast mit Joanna Newsom eine weitere groß gefeierte Singer-Songwriterin auftrat, dürften viele Indiepop-Fans bedauert haben - die Qual der Wahl. Wer sich am Ende für das Holter-Konzert entschieden hatte, musste aber garantiert nichts bereuen.