Konzert: Aus dem Tagebuch der Alanis Morissette
Im Kölner Tanzbrunnen stellt die Sängerin Alanis Morissette ihr neues Album vor. Wieder ist es ein Soundtrack ihres Lebens.
Köln. Sie wirbelt ihre Mähne durch die Luft, springt und rennt, lacht und feuert ihre Musiker an. Doch es scheint, als denke Alanis Morissette still bei sich: Irgendwie muss ich die Zeit überbrücken, in der ich nicht im Gesang versinken kann.
Die Bühne wird nur dann zu ihrem Wohnzimmer, wenn sie vors Mikrofon tritt: der Blick entrückt, der Körper bloße Hülle. Die 34-jährige Kanadierin besteht dann nur aus Stimme - und die holt sie tief aus dem Bauch und dem Herzen, reißt den Mund auf, damit möglichst viel Schmerz, Wut, Liebe und Lebenslust mit herauskommen.
Es war schon immer so bei ihren Konzerten: Das Publikum schwankt zwischen begeistertem Fan-Gesang und dem schüchternen Lauschen einer öffentlichen Therapie-Sitzung. Mit ihrem neuen Album "Flavours of Entaglement" tourt die Vollblut-Musikerin durch Europa und macht am Kölner Tanzbrunnen halt. 2000 Zuschauer erleben ihre Alanis in fast intimer Atmosphäre. Die Bestuhlung vor der Bühne ist nach drei Songs fehl am Platz.
Klatschend, tanzend und jubelnd drängen die Fans nach vorne. Die Ordner sehen’s gelassen, denn hier will keiner einen Pop-Star angrapschen, sondern mit einer alten Bekannten inbrünstig die Widersprüche des Lebens besingen. Doch als sich auch der Letzte warmgesungen hat, ist schon wieder alles vorbei. Nach nur anderthalb Stunden verlässt Alanis Morissette die Bühne - der einzige Wermutstropfen an diesem beseelten Sommerabend.
"Flavours of Entaglement" (etwa: "Geschmack der Verwirrung") ist das fünfte Studioalbum von Alanis Morissette seit dem internationalen Durchbruch 1995. Und natürlich ist es wieder ein Soundtrack ihres Lebens, ein musikalisches Tagebuch ohne Tabus. Deshalb dürfte vor allem einer bei Erscheinen geschwitzt haben: Der Schauspieler Ryan Reynolds war fünf Jahre mit der Musikerin liiert, bis es 2007 zur Trennung kam.
In den elf Songs wimmelt es von Anspielungen auf diese Beziehung. Mal voll kalter Wut ("Dieser Scheiß macht mich verrückt/ Wie du herunterspielst, was in meinem Kopf vorgeht"), mal voller Sehnsucht ("Ich vermisse, wie du durch die Tür kommst"), mal mit nüchterner Analyse ("Ein großer Unterschied zwischen der, die ich bin und der, die du siehst").
Auch musikalisch erkennt man die Songwriter-Qualitäten von Alanis Morissette: melancholisches Piano, wütende Bässe, fröhliche Mundharmonika. Mit dem neuen Produzenten Guy Sigsworth, der auch mit Björk arbeitet, mischen sich auch frische Elektroklänge unter die starke Stimme der Musikerin. Alanis-Puristen wird das irritieren, doch auch sie werden mit Titeln wie "Citizen of the Planet" oder "Versions of Violence" gut versorgt.
Seit dem Welterfolg von "Jagged Little Pill" mit 30 Millionen verkauften Alben hat Alanis Morissette sich erfolgreich gegen das Prädikat "rockende Emanze mit Hang zum Seelen-Striptease" gewehrt. Wenn etwas ihr Markenzeichen ist, dann die kompromisslose Ehrlichkeit. Das führt mitunter zu verquast-philosophischen Texten, denen nicht jeder folgen kann. Aber das ist der 34-Jährigen egal.
Als sie am Kölner Tanzbrunnen aus dem Song "Straightjacket" erwacht, schaut sie in ein jubelndes Publikum. Und ihr überraschter, geschmeichelter Blick sagt: Wie schön, dass ihr mich versteht! Nur um sich sofort wieder aus dieser Harmonie-Starre zu lösen und sich im nächsten Song dem "Geschmack der Verwirrung" hinzugeben. Denn: Wäre das Leben nicht furchtbar langweilig, wenn man sich schließlich selbst gefunden hätte?