Abschied eines Dirigenten New Yorker Philharmoniker sagen: Goodbye, Alan Gilbert
New York (dpa) - Die Anspannung steht manchen von ihnen ins Gesicht geschrieben. Musiker tragen schnellen Schrittes Instrumentenkoffer an den Bühneneingang der David Geffen Hall, an diesem Abend sollen die New Yorker Philharmoniker eines der Abschiedskonzerte von Dirigent Alan Gilbert spielen.
„Ist Yo-Yo Ma hier gerade vorbeigekommen?“, erkundigt sich ein quirlig wirkender, junger Anzugträger nach dem weltberühmten Cellisten. Der Security-Mann bleibt gelassen. „Ich weiß nicht mal, wer das ist.“ Der Anzugträger verschwindet im Treppenhaus.
Ein paar Stockwerke höher hat der Stardirigent Gilbert, abgeschirmt durch eine Vorzimmer-Schleuse und mehrere Assistenten, hinter seinem Schreibtisch Platz genommen. Er trägt neonfarbene Turnschuhe, ein schwarzes T-Shirt. Aufgeregt scheint dieser Mann trotz des großen Konzertabends nicht, eher erleichtert. Auf dem Sofa hinter ihm sitzt sein Töchterchen mit Kopfhörern, Tablet-Computer in der Hand, sie gluckst und kichert. „Ruhig!“, flüstert Gilbert ihr zu. Er muss schließlich ein paar Abschieds-Interviews geben. Am Samstag gibt Gilbert das letzte Konzert als Chef im eigenen Haus, der David Geffen Hall.
„Der Job ist hart genug, so dass es tatsächlich ziemlich erfreulich ist, ihn hinter sich zu lassen“, sagt Gilbert. Das glaubt man ihm gern, immerhin zückten von seinem Podest aus schon Kurt Masur, Leonard Bernstein, Arturo Toscanini und Zubin Mehta den Taktstock. „Ich hatte eine unfassbar gute Zeit, aber es fühlt sich wie ein wirklich passender, fröhlicher Moment an, um das nächste Kapitel aufzuschlagen“, sagt Gilbert der Deutschen Presse-Agentur.
Eine gute Zeit, das waren für Gilbert in acht Jahren vor allem die Momente, als er das renommierte Orchester aus der Reserve locken konnte. Etwa dann, wenn er die Musiker in Wagners „Rheingold“ dazu bringen konnte, zu schreien, um die unter Alberich schuftenden Sklaven akustisch zum Leben zu erwecken. Oder die fulminante Aufführung von György Ligetis „Grand Macabre“, als die Musiker mitten in der Oper Zeitungspapier zerknüllen und auf Gilbert werfen sollten.
Zu glänzend, zu perfekt, zu unternehmerisch präsentierte sich das Haus aus Gilberts Sicht manchmal. Er wollte den „Fingerabdruck des Töpfers auf dem Becher, den Pinselstrich“ zeigen, damit nicht alles so poliert und blank geputzt aussieht, wie er dem Radiosender WNYC sagte. Oder, wie er der Deutschen Presse-Agentur erklärt: „Es ist schwierig, ein glänzendes Schloss auf einem Hügel zu sein und einzugestehen, dass es Schwächen gibt oder Projekte nicht voll ausgeformt sind.“
Das letzte Konzert also. Gustav Mahlers 7. Sinfonie soll es werden, gespielt von Musikern aus aller Welt. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, aber auch Russland, China sowie der Irak, Iran und Israel sind vertreten - das „Konzert für die Einheit“ scheint zu Zeiten von US-Präsident Donald Trump wie ein Stück musikalischer Chefdiplomatie. Auch die Komposition „Ibn Arabi Postlude“ des syrischen Komponisten und Klarinettisten Kinan Azmeh steht auf dem Programm. Die Partitur liegt auf Gilberts Schreibtisch, darüber ein Handtuch für das jetzt schon absehbare Schweißbad.
Der 50-Jährige macht kein Geheimnis daraus, dass er mit manchen Vorhaben bei der 175 Jahre alten Institution an Grenzen stieß. Aber er drückt es höflich aus: „Ich bin zufrieden über die Menge an Wandel, die wir erreichen konnten. Die finanziellen Belastungen waren sehr real und einige Projekte, die ich umzusetzen gehofft hatte, waren einfach nicht möglich gewesen.“
Gewünscht hätte sich Gilbert zum Abschied etwa die lang ersehnte New Yorker Premiere der seltenen, kolossalen Oper „St. François d'Assise“ des französischen Komponisten Olivier Messiaen von 1983. Es wurde ihm verwehrt. Es wäre ein „astronomisch teures Projekt“ geworden, „also verstehe ich es vollkommen, dass wir das nicht machen konnten“, sagt Gilbert. Nun also die 7. Sinfonie von Mahler. Mit diesem wird dann auch Gilberts Nachfolger Jaap van Zweden das große Erbe antreten, wenn er als zunächst designierter Nachfolger der Philharmoniker im September die 5. Sinfonie dirigiert.
Zu diesem Zeitpunkt dürfte Gilbert mit seiner Frau, der schwedischen Cellistin Kajsa William-Olsson, und drei Kindern schon wieder in Stockholm leben. William-Olsson will dort ihre Karriere an der Royal Stockholm Philharmonic wiederbeleben, die Gilbert acht Jahre leitete. Er selbst wird mit Gastauftritten durch die Welt tingeln. Zum Beispiel nach Hamburg, von dessen Elbphilharmonie er sich begeistert zeigt. „Natürlich hat es lang gedauert und viel gekostet“, sagt Gilbert. Aber das Konzerthaus sei auch eine Chance, ein ganz neues Publikum zu erschließen. Es klingt ein bisschen, als habe Gilbert jetzt schon Pläne, dort bald wieder den Taktstock zu heben.