Okkervil River: Eine Band im steten Wandel
Für Fans des elegischen Indie-Rocks sind Okkervil River eine der bedeutendsten Bands der vergangenen zehn Jahre. Ihr sechstes Album ist eine gelungene Kehrtwende.
Düsseldorf. „Nicht ich allein bin Okkervil River“, beharrt Will Sheff. „Wir sind eine Band, nur die Besetzung hat sich geändert.“ Ein Zustand, an den sich der Sänger und Songwriter gewöhnt hat. Treffend bezeichnet er ihn als Hybrid-Situation: Okkervil River ist ein Bandmodell zwischen fester Formation wie bei den Beatles und einsamem Wolf wie Bob Dylan.
Der Grund für die ständigen Umbesetzungen ist nachvollziehbar, denn jeder verfolgt andere Lebensplanungen: Der eine will eine Familie gründen, dem nächsten fällt das Touren schwer, und der Dritte sehnt sich nach Normalität. Okkervil River wandeln sich nun schon seit 13 Jahren, und im Genre des Indie-Folk-Rocks hat sich die Band um Dauermitglied Sheff eine führende Position erarbeitet — in den USA wie in Europa.
Mit „I Am Very Far“ veröffentlichen die Texaner nun ihr sechstes Album. Auch wenn der Bandboss für Musik und Texte verantwortlich ist, schreibt er den anderen nie vor, was zu tun ist. Jeder Einzelne ist für sich selbst zuständig, schreibt seine Bassline, seinen Keyboard- oder Drum-Part. Nur selten redet Sheff ihm rein. Das sorgt für eine entspannte Atmosphäre: Man versteht sich. „Wir sind Freunde und Freunde von Freunden, die noch dazu mehrfach begabt sind.“
Lauren Gurgiolo beispielsweise, die ehemalige Sängerin der Band The Dialtones, spielt seit 2008 bei Okkervil River Gitarre, Mandoline, Banjo und Lap Steel (Hawaii-Gitarre). Auch Sheff spielt mehrere Instrumente, darunter Klavier und Gitarre. In den vergangenen vier Jahren, nach dem letzten regulären Studioalbum „The Stages Names“, setzte er sein Talent in etlichen Projekten ein.
„Es ist schon frustrierend, wenn immer wieder behauptet wird, man hätte auf der faulen Haut gelegen, während man doch eigentlich hart gearbeitet hat“, macht er seinem Unmut Luft. So sang er auf dem aktuellen Werk der New Pornographers und schrieb einen Song für Norah Jones’ jüngste Platte „The Fall“.
Außerdem trat er mehrfach als Produzent in Erscheinung: Neben dem Debüt der Newcomer-Band Bird of Youth verhalf er der US-Punk-Legende Roky Erickson zum Comeback. Dessen viel gelobtes Album „True Love Cast Out All Evil“ entstand unter seiner Regie. „Die Arbeit hat mich ein volles Jahr gekostet“, sagt er. „Roky hat 64 Songs aufgetischt, die ich erst mal auf 15 reduzieren musste.“ Daraus schöpfte er Energie für den nächsten Anlauf mit Okkervil River.
Um dem Anspruch gerecht zu werden, jedem Album eine eigene Identität zu verleihen, bereiteten Sheff und Band sich geschickt vor. Statt wie bei den Vorgängern eine streng kalkulierte Periode im Studio zu verbringen, traf man sich zu kurzen Sessions über längere Zeit. „Ich wollte, dass wir jeden Aufnahmetag mit Frische und Enthusiasmus beginnen und uns so neu erfinden.“
Für den eigenen Schreibprozess verordnete er sich selbst die geistige Löschtaste — sein Verfahren der Ideenfindung: Jedes vorige Album gehört der Vergangenheit an und wird von ihm auf Nimmerwiedersehen verabschiedet. „Abhaken und weiter an seiner Kreativität arbeiten — das ist das Wichtigste.“
Mit „I Am Very Far“ haben Okkervil River es geschafft, sich selbst zu renovieren. Und während Fans das erfreut, wird Sheff auf der kommenden Tour schon den nächsten Abschied und Neuanfang vorbereiten.