Petrenko stiehlt Castorf im Bayreuther „Ring“ die Show

Bayreuth (dpa) - Er habe gar nicht den Anspruch, einen Jahrhundert-„Ring“ auf die Beine zu stellen, sagte Frank Castorf kurz vor Beginn der Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele. Und nach den ersten beiden Teilen erhärtet sich der Verdacht: Die Gefahr besteht wohl auch nicht.

Es ist der Jubiläums-„Ring des Nibelungen“ im großen Wagner-Jahr, entsprechend groß war die Spannung. Doch was Regisseur Castorf, der nach Absagen von Tom Tykwer und Wim Wenders reichlich kurzfristig als Regisseur einsprang, jetzt in Bayreuth vorgelegt hat, enttäuscht bislang.

Zwar gefällt dem Bayreuther Publikum Castorfs „Walküre“ deutlich besser als das grellbunte „Rheingold“, das kann aber nicht über das ungute Gefühl hinwegtäuschen, dem Berliner Regisseur sei inhaltlich nicht wirklich etwas zu Wagners Tetralogie eingefallen.

Nach Tankstellen- und Motel-Kulisse (Bühnenbild: Aleksandar Denić), B-Movie-Ästhetik, einem Gangster-Wotan und leicht bekleideten Rheintöchtern im „Rheingold“ geht es in der „Walküre“ deutlich gesitteter zu. Das Bayreuther Publikum, das nicht als konservativ gelten will, aber immer wieder das Gegenteil unter Beweis stellt, freut sich darüber. In der ersten Pause atmen viele hörbar und erleichtert durch. Seine Inszenierung stört nicht großartig - damit kann ein Frank Castorf doch eigentlich nicht zufrieden sein.

„Das ist ein Quantensprung“, sagt eine Wagnerianerin. Genau genommen ist es das aber nicht. Diesmal spielt die Geschichte zwar nicht, wie im „Rheingold“, in den USA der 1960er Jahre, sondern bei der Ölförderung in Aserbaidschan. Kulisse ist ein schäbiger Förderturm auf einer Drehbühne. Beziehung zu Teil eins? Eher Fehlanzeige.

Castorfs Konzept aber bleibt weitgehend das gleiche: Er setzt auf filmische Untermalung und lässt die Sänger stets von einem Kameramann begleiten. So nah hat man die Stars der Wagner-Oper selten bei der Arbeit beobachten können. Dadurch geht aber viel von der großen ganzen Geschichte verloren. Schlüsselszenen verpuffen, weil gerade auf der Leinwand etwas völlig anderes läuft. Und immer wenn Fokussierung droht, rollt wieder jemand irgendwo ein Bettlaken aus und bastelt damit eine neue Leinwand.

Fokussierung ist das große Problem an Castorfs Inszenierung. Denn es gibt sie nicht. Seine Interpretation zerfasert, vieles wirkt wie pure Effekthascherei. Die Suche nach dem roten Faden verläuft ergebnislos. Die Frage, warum Elisabet Strid im „Rheingold“ als Freia einen Lack-Catsuit tragen muss wie Pamela Anderson in dem Film-Machwerk „Barb Wire“, bleibt ebenso unbeantwortet wie die, warum Mime (Burkhard Ulrich) die Regenbogenfahne der Schwulenbewegung hisst. Und was der Truthahn im Käfig im ersten Aufzug der „Walküre“ zu bedeuten hat - auch das bleibt bis auf weiteres das Geheimnis des Regisseurs.

Sein großes Thema, das Öl als Gold unserer Zeit, wirkt trotz „Rheingold“-Tankstelle, Förder-Kulisse in der „Walküre“ und alten, oft anscheinend zusammenhanglos zusammengestellten Videos auf Leinwänden irgendwie aufgesetzt. Wagners Musik scheint für Castorf nicht viel mehr als Grundrauschen zu sein, Filmmusik.

Und dazu wäre sie womöglich auch verkommen, hätten sich die Sänger nicht alle Mühe gegeben, sie (und sich) in den Vordergrund zu rücken. Am besten gelingt das der herausragenden Anja Kampe als Sieglinde und Johan Botha als Siegmund. Stürmisch werden die beiden nach ihrer stimmgewaltigen Präsentation gefeiert. Das Bayreuther Festspielhaus steht Kopf schon nach dem ersten „Walküren“-Aufzug, in dem die beiden aufeinandertreffen.

Catherine Forster als Brünnhilde hat es da nicht so leicht. Nach dem zweiten Aufzug wird sie sogar von Teilen des Publikums gnadenlos ausgebuht. Tatsächlich scheint sie nicht ihren allerbesten Tag erwischt zu haben und zeigt zu Beginn in den Höhen einige Schwächen. Am Ende aber haben Zuschauer und Sopranistin sich wieder versöhnt und sie wird ebenso stürmisch gefeiert wie Wolfgang Koch als Wotan.

Den größten Anteil daran, dass der „Ring“ trotz merkwürdig uninspirierter Inszenierung ein Erfolg werden könnte, hat Bayreuth-Debütant Kirill Petrenko. Der Dirigent ist nicht weniger als virtuos und hat die schwierige Akustik anscheinend problemlos und auf Anhieb im Griff. Der kleine Russe, der von der kommenden Spielzeit an Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper ist und auch dort den „Ring“ von seinem Vorgänger Kent Nagano übernehmen wird, ist in diesem Jahr schon jetzt der große Star der Festspiele. Nach den ersten beiden Aufführungen wird er frenetisch gefeiert. Ganz vereinzelt gibt es sogar Standing Ovations nach der „Walküre“. Einige Kritiker sprechen schon gar nicht mehr vom Castorf-, sondern nur noch vom Petrenko-„Ring“.