Mysterienspiel von Frank Wedekind feierte in Düsseldorf Premiere Franziskas faustische Irrfahrt
DÜSSELDORF · Zwar ahnt sie viel, doch möchte Franziska alles wissen. Und am eigenen Leib erfahren. Zumindest das, was vor 110 Jahren eine unabhängige männliche Existenz ausmachte. Genervt von ihrer Mutter, den Wünschen nach Ehe und Kindern und der häuslichen Enge, malt sie in schwungvollem Pinselstrich und großen Buchstaben „Manipulation“ an die Wand.
Um aus diesem Gefängnis zu entfliehen, geht die Titelheldin in Frank Wedekinds Stück „Franziska – Ein modernes Mysterium“ einen Teufelspakt ein: Mit Veit Kunz, einem windigen, agilen, geschmeidigen und rhetorisch brillanten Versicherungsfritzen.
Dieser Mephisto aus dem rockigen Bilderbuch der 2000er Jahre erfüllt ihr sämtliche Wünsche, verleiht ihr die äußerliche Hülle eines Kerls. Zwei Jahre darf sie sich austoben und ausprobieren. Doch danach will Veit alles von Franziska – Leib und Seele. Wild geht es in zweieinviertel Stunden über Tische, Häuser, Straßen und Bänke, kreuz und quer durch Franz‘ (Franziskas) schillernde Welt. Zu erleben in Düsseldorf als turbulentes Spektakel, inszeniert von Sebastian Baumgarten.
Der bis Bayreuth und Wien gerühmte Opern- und Theater-Regisseur erliegt freilich dem Wunsch des Dramatikers Wedekind (1864-1918), mit Franziska einen weiblichen Faust auf die Bühne zu bringen. Als ewige Sucherin zeigt Baumgarten diesen „Franz(iska)“: Sie/Er irrt umher in einer Großstadt vor dem Ersten Weltkrieg, die sie durch technische Revolution und gesellschaftliche Veränderung überfordert. Sie eilt von einer bizarren Situation und einem leicht verrückten Typen zur nächsten. Alles bleibt in der Schwebe, kaum ein Charakter ist eindeutig zu erkennen.
Der kurzweilig, flockig arrangierte, suggestiv bebilderte und choreographierte Theaterabend hat weder roten Faden noch erkennbare Handlungslinie. Eine Menge des kompliziert gebauten Textes müssen zwar die Schauspieler bewältigen. Doch klare Ziele steuern sie ebenso wenig an wie sie dem Zuschauer einen klaren Überblick vermitteln. Denn alle, bis auf Hauptdarstellerin Sonja Beißwenger und Florian Claudius Steffens (Veit), schlüpfen ständig in neue Rollen. Eben spielt Rainer Philippi noch die Mutter, plötzlich mimt er den Pater oder einen ältlichen Baron, der Franziska bereits vor ihrer Verwandlung bedingungslos geliebt hat. Kilian Ponert indes ist mal großspuriger Politiker, dann Herzog oder einfach Ralf.
Sebastian Baumgarten setzt auf eine verwegene Mischung aus Mummenschanz, Budenzauber und streckenweise verwirrendem Mysterienspiel. Und bringt das Ganze mit Geräuschen und überspitzten Typen auf die Rampe, wie man sie aus Comics und Fantasy-Filmen kennt. Stets auf der Bühne: Der Musiker Jovan Stojsin. Er begleitet sämtliche Szenen mit seiner Gitarre, entlockt ihr sphärische, dann wieder rockige Sounds.
Der Clou der Inszenierung – überfüllt mit starken Bildern, Motiven und grotesken Figuren – ist das Bühnenbild des niederländischen Ateliers Van Lieshout. Die International bekannte und auf Architektur-Biennalen vertretene Gruppe aus Rotterdam baut auf die große Düsseldorfer Bühne ein gewaltiges Modell, ein monumentales Fantasie-Gebäude. Mit Rundungen und drei Ebenen, die ineinander übergehen. Unten, dank Drehbühne, herrscht permanenter Wechsel von Räumen, Farben, Stimmungen und Charakteren. Und oben thront Megapolis. Namenlose Metropole, dann wieder kreisender Berg mit Galgen. Allein das zu erleben, lohnt den Ticket-Kauf.
Schauspielerische Höchstleistung bietet Sonja Beißwenger, die immer andere Gestalten annimmt. Mal Macho mit Bart (wie im Comic), dann Frau in Schwarz mit Sonnenbrille, die am Ende unabhängig bleibt. Zwar fährt ihr Sohn, der kleine Veitralf (wandlungsfähig: Moritz Klaus), wie „Hans-guck-in-die-Luft“ auf einem Riesen-Dreirad spazieren und geht der Mutter auf die Nerven. Doch nun verspricht Franziska einer jungen Fotografin das Blaue vom Himmel. Und schwebt dort mit ihr auf einem Schleudersitz hinauf. Körperlich permanent auf Hochtouren ist Florian Claudius Steffens, der als Veit mit beiden Geschlechtern flirtet und nur anfangs allmächtig erscheint. Am Ende hockt er als Verlierer allein im Sessel. Da ist Franziska vermutlich längst in ihrem siebten Himmel angekommen.
13., 30. Okt.,15. Nov., 15. Dez.
Tel. 0211/369911