Interview mit Sänger Thees Uhlmann: „Das Auto geht, die Handbremse ist kaputt“

Düsseldorf. · Sänger und Schriftsteller Thees Uhlmann spricht im Interview über die zähe Entstehung seines gefeierten Albums „Junkies und Scientologen“ und ein neues Buch über die Toten Hosen, denen er mit Liebe begegnet.

Neues Album, neues Buch, runde Sache: Thees Uhlmann sitzt in der Astra Stube in Berlin.

Foto: dpa/Lisa Ducret

In Sachen Begeisterung macht Thees Uhlmann niemand etwas vor. Wenn es läuft, läufts. Dann freut er sich wie ein Kind. Die neue Platte „Junkies und Scientologen“ ist auf Platz zwei der deutschen Albumcharts eingestiegen, das neue Buch über die Toten Hosen kommt am Donnerstag heraus. Ein Buch über die Hosen? Warum eigentlich? Und warum alles auf einmal, nach so langer Stille um den ehemaligen Tomte-Sänger, der 2015 mit „Sophia, der Tod und ich“ auch als Schriftsteller großen Erfolg hatte. Zeit für Fragen.

Thees Uhlmann, als wir uns zuletzt unterhielten, sprachen wir über Musikmagazine und Instagram. Und was das so mit der Musik macht, dass sich Rezeption verändert.

Uhlmann: Ich finde auf jeden Fall traurig, dass es diese Fanzine-Szene nicht mehr gibt, weil ich ja auch aus ihr komme. Dass heute noch fünf Typen vom Dorf eine Selbstermächtigung spüren und so etwas an den Start bringen, das ist selten. Stattdessen trägt jetzt einer von meinen Leuten Hipster-Klamotten auf Fotos und stellt sie bei Instagram rein. Und jetzt hat er 100 000 Follower. Ich muss das nochmal durchdringen. Wahnsinn.

Erlebt Musik gerade einen Bedeutungsverlust? Oder sucht sich Musik nur neue Wege, um zu den Menschen zu kommen?

Uhlmann: Man muss ja mal sagen: 30 Millionen Mero-Fans (ein 18 Jahre alter deutscher Rapper, der über Spotify gerade großen Erfolg hat, Anm. der Red.) können nicht falsch liegen. Es ist ja auch in Ordnung, dass 21-Jährige nicht mehr auf unseren Sound stehen. Früher hat man sich Platten gekauft und Platten gehört. Das hatte eine andere Wertigkeit als heute mal schnell auf dem Handy diddeln und nebenbei einen Song reinwischen. Wir kommen aus der Generation Album und bilden uns ein, dass das noch eine Kunstform ist, diese abgeschlossenen 45 Minuten. Aber das Ding ist over, heute veröffentlichen ganz viele ja auch einfach nur noch Singles, schnell raus, irgendeinen Trash, es folgt ein Riesenhype – und dann geht’s weiter. Das macht die Kultur anders. Heute wird eine Platte veröffentlicht, damit man auf Tour gehen kann. Früher ging man auf Tour, wenn man eine tolle Platte gemacht hatte. Das ist ein Unterschied.

Sie haben sich viel Zeit gelassen beim neuen Album. Warum mehr als fünf Jahre?

Uhlmann: Das ist das, was wir gerade besprochen haben: Ich hatte viele Songs geschrieben, das war ganz in Ordnung, aber das hat mir irgendwann irgendwie nicht gereicht. Die Texte waren gefühlig aus einer Tomte-Zeit, die es bei mir gar nicht mehr gibt. Mein Buch „Sophie, der Tod und ich“ hat sich wirklich gut verkauft. Wenn ich dann Texte mache wie „Mir geht es schlecht, hat jemand ein Bier“ – da würde ich Fans belügen. Ich wollte Sachen verhandeln, die mich in den letzten Jahren beschäftigt haben. Es gibt bei mir ein Unverständnis für Leute, die AfD wählen. Und ich muss meine Tochter vor 50 Prozent des deutschen Hip Hops beschützen. Das musste ich vor zehn Jahren nicht, und das alles hat mich in den vergangenen Jahren ärgerlich gemacht. Und wenn es überall heißt, wir wollen nur noch kurze Texte, dann machen wir jetzt eben die längsten ever. Und die Leute, die jetzt auf den ersten Konzerten waren, die haben das auch geschnallt.

Was lange währt, wird also aber mal richtig gut?

Uhlmann: Ja, auch. Ich habe mich von meinem inzwischen ja total erfolgreichen Produzenten Tobias Kuhn getrennt, weil er mir einfach nicht mehr helfen konnte. Und dann habe ich Simon Frontzek gefragt, ob er mir helfen kann. Bei mir ging überhaupt nichts mehr. Dann ist Rudi Maier dazu gekommen, und die beiden sagten zu mir: Thees, wir beiden interessieren uns nur für dich, schreib auf, was du gerade denkst. Zusammen Kunst zu machen, das ist dann eben auch wirklich familiär. Es gibt auch kein böses Blut mit meinem alten Produzenten, wir haben es beide akzeptiert.

Finden Sie „Junkies und Scientologen“ melancholisch oder fröhlich?

Uhlmann: Ich treffe Leute, die sagen mir: Mensch, Thees, die neue Platte ist so negativ, was ist los? Andere: Endlich wieder Gute-Laune-Rock’n’Roll-Musik. Die Wahrheit muss also wohl in der Mitte liegen.

Hat Ihnen die Zuneigung der Fans gefehlt in den vergangenen Jahren? Oder brauchen Sie das nicht zwingend?

Uhlmann: Nein, brauche ich nicht, auch wenn meine Freunde das anders sehen. Es ist so: Wenn mein Schlagzeuger, den ich über alles liebe, das wegen seiner Kinder nicht mehr schafft, dann mache ich eben nur noch so kleine Akkustik-Sachen. Ich könnte auch mit einer pädagogischen Ausbildung wieder als Erzieher arbeiten, das ist  strukturell ähnlich: Ich betreue meine Besucher 90 Minuten im Konzert. Und wenn es aber klappt mit dem Rock’n’Roll, dann ist das das Allerschönste. Ich habe mit 17 angefangen, und dass ich es mit 47 noch machen darf, macht mich demütig.

Und wie lange geht das? Wie Campino auch noch locker in zehn Jahren?

Uhlmann: Bei dem ist das ja nochmal anders, das ist einer der größten lebenden Künstler in Deutschland. Mit einer Agilität gesegnet, das ist ja ein Happening. Campino hat mal in einem Interview gesagt, die Toten Hosen sind immer noch eine Band auf Peterchens Mondfahrt. Und jetzt ist unsere Band auf Peterchens Mondfahrt. Das ist geklaut, gefällt mir aber gut.

Sie sprechen oft über Ihre Mutter im niedersächsischen Dorf Hemmoor. Wie findet sie das Album?

Uhlmann: Sie war beim Konzert in der Großen Freiheit in Hamburg, hat ihre Nachbarin mitgebracht, und dann hat mein Manager sie angesprochen, wie sie das denn nun findet. Und dann sagte sie: Naja, ein bisschen exaltiert ist er ja schon. Und dann hat mein Manager gesagt: Guck doch mal, wie glücklich er gerade ist! Und sie sagte: Stimmt! Süß, oder?

Exaltiert?

Uhlmann: Ja! Ich lehne mich auf der Bühne in den Sound. Wir sind eine Rockband: Unser Gitarrist lässt die Haare fliegen, ich schreie rum und schwitze wie ein Schwein. Das Auto geht, aber die Handbremse ist kaputt. So mag ich es! Auf Tour zu gehen mit einer Sache, die man liebt, hat eine spezielle Magie. Allein sich die Städte-Unterschiede anzugucken: Bremen und Hannover haben so viel miteinander zu tun wie Flensburg und Wien. Alles total anders. Aufbauen, üben, in die Nacht explodieren, dann weiterzufahren – ich liebe das.

Und jetzt ein Buch über die Toten Hosen. Warum?

Uhlmann: Der Verlag wollte ein Buch über Bruce Springsteen von mir. Aber da war künstlerisch überhaupt kein Fleisch an den Knochen. Und dann hat meine Lektorin gesagt: Willst du über die Toten Hosen schreiben? Da hatte sie einen wunden Punkt getroffen: Mein erstes Konzert waren die Toten Hosen, Band Aid habe ich mit Campino zusammen gemacht. Es gab tausendundeine Geschichte.

Haben Sie die Hosen gefragt?

Uhlmann: Natürlich. Ich habe ihnen geschrieben, dass ich das Angebot habe, aber dass das nicht unsere Freundschaft zerstören dürfe. Dann haben sie gesagt: Thees, wenn das Buch so ist, wie die Mails, die du uns freitagnachts betrunken aus der Küche schreibst, dann freuen wir uns alle sehr auf das Buch. Das hat mich ermutigt. Man kann die letzten 35 Jahre Deutschland gut an den Hosen durcherzählen. Die waren immer da. Und sind immer noch die größte deutsche Band.

Einige sagen, die Hosen sind zu kommerziell geworden.

Uhlmann: Kürzlich war ich in Düsseldorf und habe dort eine riesige Baustelle fotografiert. Ich schrieb ihnen: Endlich wird hier mal Platz gemacht für das Tote Hosen-Denkmal! Auf deren Konzerten sind wir noch alle gleich, das ist Schmierstoff. Kommerziell? Die hatten gar keine andere Möglichkeit. Die Leute haben sich entschieden, diese Band zu lieben. Und dann fände ich es künstlerisch ziemlich arrogant zu sagen: Wir spielen bitte nur für die Coolen. So funktioniert Kultur nicht. Ich liebe die eben. Wie die mit ihren Leuten umgehen! Mit ihren Fans! Wo die sich überall hinstellen und sagen: Machen wir nicht. Wir sind linksliberal, hier darf jeder mitmachen, außer er ist ein Arschloch. Das finde ich wichtig.

Haben die Hosen Ihr Buch gelesen?

Uhlmann: Campino hat geschrieben: Mensch, Thees, das ist wirklich toll. Der Rest ist mir jetzt egal. Ich habe das Buch in zwei Wochen runtergeschrieben, als meine Tochter im Urlaub war, weil Kohl kochen für ein Mittagessen und über die Toten Hosen nachdenken – das funktioniert nicht. Ich hatte so einen richtig tollen Tote-Hosen-Flow. Das waren gute zwei Wochen.