Rede Volker Beck: Antisemitismus im kulturellen Gepäck
Der Bundestag hat am Mittwoch über den aktuellen Antisemitsmus-Bericht debattiert, den ein unabhängiger Expertenkreis vorgelegt hat. Zu den Rednern gehörte auch der Grünen-Abgeordnete Volker Beck: Auszüge aus seiner Rede.
Berlin. Der Bundestag hat am Mittwoch über den aktuellen Antisemitsmus-Bericht debattiert, den ein unabhängiger Expertenkreis vorgelegt hat. Zu den Rednern gehörte auch der Grünen-Abgeordnete Volker Beck, der sich für eine Umsetzung der Forderungen des Berichts einsetzte. Auszüge seiner Rede im Wortlaut:
"Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden“, sagt Theodor Adorno. Dieses Gerücht ist weiter verbreitet, als viele wahrhaben wollen. Julius Schoeps schreibt: „Der Antisemitismus ist integraler Bestandteil der deutschen Kultur.“ Weiter sagt er: „Das Problem ist, dass in bestimmten Situationen antijüdische Bildvorstellungen aufbrechen und manifest werden.“
Das christliche Abendland hat seine antijüdischen Wurzeln in der christlichen Überwindungstheologie, die letztlich auf den Schultern des Apostels Paulus steht. Die Judensau an den mittelalterlichen Kirchen, so am Kölner Dom, die blinde Synagoge mit zerbrochenem Speer neben der Ecclesia triumphans am Straßburger Münster — das Mittelalter ist voller kunsthistorischer Dokumente der Judenfeindschaft und der Substitutionstheologie, eine Abwertung des jüdischen Glaubens und Volkes.
Und: Die deutsche Geistes- und Kulturgeschichte kennt viele antisemitische Größen: Luther, Kant, Wagner, Heidegger bis hin zum Hof- und Domprediger Adolf Stoecker am Berliner Dom und am Hofe des Kaisers. Deshalb hat Schoeps recht, und wir beginnen am besten damit, uns einzugestehen: Antisemitismus gehört zu unserem kulturellen Gepäck. — Wir werden den Dä- mon nur bändigen, wenn wir mit Refexion, Aufklärung und Kritik aktiv gegen antisemitisches Denken, Reden und Handeln vorgehen.
Alle Bundestagsparteien haben dieses Problem mehr oder minder erkannt. Allein die AfD hat sich auf Anfragen der Expertenkommission nicht zurückgemeldet, und das bei einer Partei, die wie 1933 das Schächtverbot wiedereinführen will, einen Höcke in ihren Reihen hat, der eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordert, und einen Landtagsabgeordneten und Parteitagsdelegierten in ihren Reihen hat, der das auf Fälschungen beruhende antisemitische Pamphlet der Protokolle der Weisen von Zion für ein historisches Dokument hält. (...)
Von dem französischen Historiker Léon Poliakov stammt der Satz: „Israel ist der Jude unter den Staaten.“ Über das Existenzrecht keines anderen Staates debattiert man auf dieser Welt, nur beim jüdischen und demokratischen Staat fndet man das diskutierbar. Antizionismus ist der Antisemitismus 2.0. Er ist der Brandbeschleuniger der Judenfeindschaft. Er gilt bei Teilen der Linken wie der Rechten wie in der Mitte der Gesellschaft als respektable politische Ideologie. Deshalb ist es wichtig, dass die Working Defnition der International Holocaust Remembrance Alliance benennt — ich zitiere —: Das Absprechen des Rechts auf Selbstbestimmung des jüdischen Volkes und das Anwenden von Doppelstandards sind als Antisemitismus zu konstatieren."
Becks Redebeitrag vom 21. Juni 2017 im Protokoll (goo.gl/YDb4yt) ab S.32.
Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus hier: goo.gl/apGNEp