Nazi-Opfer Martin Gauger – ein „unbesungener Held“
WUPPERTAL/DÜSSELDORF · Der 1905 in Elberfeld geborene Jurist verweigerte den Eid auf Hitler und den Kriegsdienst. Er wurde von den Nazis ermordet.
„Für mich ist er ein unbesungener Held.“ Das sagt Barbara Dauner-Lieb, Präsidentin des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs und Rechtsprofessorin, über einen juristischen Kollegen. Ein Kollege, der seit knapp 81 Jahren tot ist. Vergast von den Nazis in der Nähe von Pirna. Ermordet wurde der 1905 in Elberfeld, dem heutigen Wuppertaler Stadtteil, geborene Martin Gauger als einziger namentlich bekannter Jurist, der den Treueeid auf Hitler und später auch den Kriegsdienst verweigert hatte. Verblieben ist ein sogenannter Stolperstein – vor seinem früheren Wohnhaus auf der Hopfenstraße in Wuppertal. Aber im geschichtlichen Gedächtnis hat der Mann, der nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst (er war bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal) für den Lutherrat der Bekennenden Kirche arbeitete, keinen prominenten Platz gefunden.
Das wollen die Evangelische Kirche, aber auch das Justizministerium ändern. Die drei Landeskirchen und das Ministerium von Minister Peter Biesenbach (CDU) luden gemeinsam zu einer Podiumsdiskussion in die Düsseldorfer Johanneskirche ein. Diese hätte eigentlich zum 80. Todestag stattfinden sollen, war im vergangenen Jahr aber coronabedingt ausgefallen. Die jetzt nachgeholte geschichtliche Würdigung Gaugers bekam eine weitere aktuelle Dimension – angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und die für zahllose Menschen vergleichbare Situation, sich dem Kriegsgeschehen nicht entziehen zu können.
Biesenbach erinnert an einen anderen bewundernswert mutigen Menschen dieser Tage: Marina Owsjannikowa, Mitarbeiterin des russischen Staatsfernsehens, die ein paar Sekunden lang ihr Plakat in die Kamera hielt: „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.“ Angesichts der Situation in einem Land, in dem selbst das Wort „Krieg“ für das, was Putin angeordnet hat, unter Strafe verboten ist, vergleicht Biesenbach dieses Verhalten mit dem Mut Gaugers, den Eid zu verweigern. „Ich werde dem Führer des deutschen Reichs, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein…“ hätte er schwören müssen. Der Justizminister sagt, dieser Eid habe damals einen „fundamentalen Umschwung für das Rechtssystem bedeutet. Weil nicht die Treue gegenüber dem Gesetz und der Gerechtigkeit, sondern gegenüber einer Person versichert werden musste.“
Biesenbach zitiert einen Satz Martin Gaugers, den dieser kurz vor seinem Tod in einem Brief an den Bruder schrieb: „Wenn einmal der Nebel sich zerteilt hat, in dem wir leben, dann wird man sich fragen, warum nur einige, warum nicht alle sich so verhalten haben.“ Doch Gaugers Beispiel machte nicht Schule, der Fall verschwand still und leise in den Akten. „Könnte das auch heute noch so sein, in Zeiten sozialer Netzwerke?“, bezweifelt der Justizminister. Dass das Video der russischen Redakteurin viral ging, trotz der brutalen Unterdrückung der Meinungsfreiheit, lasse ihn hoffen. Und er frage sich: „Hätte es viele Martin Gaugers gegeben, hätte die deutsche Geschichte eine andere Wendung genommen?“
Auch Rechtsprofessorin und Richterin Barbara Dauner-Lieb schleppt schon ihr ganzes Leben eine ähnliche Frage mit sich herum. Sie erzählt von ihrem 1925 geborenen Vater, der als 17-Jähriger in den Krieg zog. Ihn habe sie Ende der 1960er Jahre nach dem Faschismus gefragt, über den er nie sprechen wollte. „Glaubst du wirklich, du wärest damals im Widerstand gewesen?“, sei seine Gegenfrage gewesen.
„Ich weiß es nicht, ich hoffe es sehr“, sagt sie heute. Aber obwohl wir in einem Rechtsstaat leben und nichts vergleichbar Repressives wie damals zu befürchten hätten, stellt sie doch auch aus ihrer Erfahrung als Hochschullehrerin fest: „Nachdenkliche Studenten, die auch mal den Sinn und Zweck gesetzlicher Vorschriften hinterfragen, haben es schwerer. Geländegängigere Studierende dagegen, die bereit sind zu tun, was man ihnen sagt, kommen einfacher durch.“ Das sei heute nicht anders als damals.
Über die Trägheit, den Hang zur Konformität bei den Menschen, spricht auch Biesenbach, als er sich auf ein von Otto Dix schon 1932, also weit vor der deutschen Katastrophe gemalte Bild „Die sieben Todsünden“ bezieht. Eine dieser Todsünden: Die Trägheit. Der Gedanke: Wir verschließen aus Trägheit unsere Herzen und passen uns an, statt unserem Gewissen zu folgen, später wollen wir davon nichts mehr wissen. Mit dieser Botschaft sei Dix erstaunlich weitsichtig gewesen, sagt der Justizminister.
Wie Dauner-Lieb und Biesenbach ist auch Präses Thorsten Latzel voller Bewunderung für die Haltung von Martin Gauger. Und bedauert, dass sich die Kirche vor seiner Ermordung nicht schützend für ihn eingesetzt habe. Latzel zitiert den Theologen-Kollegen und von den Nazis hingerichteten Dietrich Bonhoeffer, dass man „dem Rad in die Speichen fallen“ müsse. In diesem Sinne sei Gauger kein Widerstandskämpfer gewesen, aber er habe eine „ebenso klarsichtige wie ethisch konsequente Haltung gegenüber der Gewaltkultur und dem Unrechtscharakter der Nationalsozialisten“ gehabt.