Meinung Das war nicht zu erwarten: Merkel kann auch anders

Jedem Anfang wohnt sprichwörtlich ein Zauber inne. Doch es gibt Ausnahmen. Den Zauber des Anfangs mit dem Start der nun schon dritten großen Koalition seit der Jahrtausendwende in Verbindung zu bringen, dürfte wohl nur den wenigsten in den Sinn kommen.

Ein Kommentar von Stefan Vetter.

Foto: k r o h n f o t o . d e

Insofern lag die Messlatte für Angela Merkels erste Regierungserklärung als alte und neue Bundeskanzlerin auch vergleichsweise niedrig.

Es freut ja schon, dass Deutschland fast ein halbes Jahr nach der jüngsten Bundestagswahl überhaupt wieder eine handlungsfähige Regierung hat. Wer wollte da auch noch einen politischen Aufbruch erwarten. Vor diesem Hintergrund wusste Merkel dann allerdings doch positiv zu überraschen. Es gibt eine Bemerkung, die die Kanzlerin wohl am liebsten ungehört machen würde, wenn sie es denn könnte: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten“, hatte sie noch kurz nach der Bundestagswahl erklärt. Und damit für viel Kopfschütteln in den eigenen Reihen gesorgt. Gestern erlebte der Bundestag eine ganz andere Angela Merkel. „Ich habe verstanden“, hätte man ihren Redeauftritt überschreiben können. Bemerkenswert: Merkel nahm sich mit für ihre Verhältnisse ungewöhnlich viel Empathie der Sorgen und Nöte breiter Bevölkerungsschichten an. Dass Merkel die Wirklichkeit in diesem Land nicht wahrhaben will, kann man ihr nach dieser Rede jedenfalls nicht vorwerfen. Und noch etwas fiel auf: Die Kanzlerin nahm der Kritik an Horst Seehofer für dessen Bemerkungen zum Islam die Spitze, indem sie sich selbst an die Spitze dieser Kritik stellte und den Bayern frontal anging. Man darf das als Kampfansage an all ihre Widersacher in der Union verstehen, vor allem an jene mit CSU-Parteibuch. Auch das war nicht unbedingt zu erwarten.

All das deutet darauf hin, dass Merkel im 13. Jahr ihrer Kanzlerschaft kein bloßer Sachverwalter der Koalitionsvereinbarung sein will. Sie will in ihrem deutlich verjüngten Kabinett nicht alt aussehen. Sie will es noch einmal wissen. Nun macht eine gelungene Rede sicher noch keinen Aufbruch. Merkel muss natürlich noch beweisen, wie ernst es ihr ist. Bei ihrem oft beschworenen „Zusammenhalt“ der Gesellschaft richtet sich das Augenmerk ohnehin erst einmal auf die große Koalition selbst. Letztlich war die Kanzlerin immer dann am stärksten, wenn die Herausforderungen besonders groß waren. Man denke nur an die internationale Finanzkrise.