Deutschland — eine Viersterne-Nation

Die fleißigen und dezenten Weltmeister

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Foto: k r o h n f o t o . d e

In der Bundespressekonferenz fragte gestern eine südamerikanische Journalistin ganz ernsthaft, ob der 13. Juli jetzt Nationalfeiertag werde. Die Sprecherin von Angela Merkel antwortete ebenso ernsthaft, nein, denn das wäre mit einem Produktionsausfall verbunden. Daher seien alle an die Arbeit zurückgekehrt, wenn auch mit sehr großer Freude. So sind die Deutschen — geworden. Fleißig, ernsthaft und dosiert fröhlich. Stärkste Wirtschaftsnation Europas und nun auch noch Fußball-Weltmeister. In Hotel-Kategorien gesprochen: eine Viersterne-Nation. „First Class“, nicht Luxus, und eher dezent.

Man muss daran erinnern, wie das in beiden Bereichen gekommen ist. Es gab zwischen 1994 und 2002 eine Rumpel-Ära im Fußball. Und es gab zur gleichen Zeit Stillstand in der Politik und eine wirtschaftliche Krise mit hoher Arbeitslosigkeit. In beiden Bereichen herrschte Fantasielosigkeit. 2004 wurde ein riskanter Neustart gewagt. In der Politik mit den Agenda-Reformen, im Fußball mit einer Verjüngung des Kaders und einer Hinwendung zum Offensivfußball. Deutschland verfügt offenbar über die Fähigkeit, sich Problemen zu stellen, jedenfalls, wenn die Not groß genug ist. Dann gibt es eine kollektive Reformbereitschaft. Das ist keine Nation in der Hängematte, sondern ein Korporatismus der aufgekrempelten Ärmel. Der ist zwar nicht konfliktfrei, aber er funktioniert.

Das Kabinen-Foto nach dem WM-Sieg zeigt noch etwas anderes: Die große Integrationsleistung, die in den vergangenen 25 Jahren erbracht worden ist und die die aktuelle Stärke der Nation mitbegründet. Merkel und Gauck sind beide Ostdeutsche ebenso wie Spielmacher Kroos. Die Migrantenkinder Özil, Khedira, Boateng, Podolski, Klose, Mustafi. Nicht das möglichst laute Singen der Nationalhymne ist das Erfolgsrezept, sondern Teamgeist gepaart mit Taktik und Technik.

Merkel hat oft daran erinnert, dass andere Nationen nicht schlafen und dass das eigene Land schnell zurückfallen kann, wenn es nicht beständig an sich arbeitet. Es wird die große Aufgabe sein, die derzeitige Spannung zu halten, auch dann, wenn der Jubel längst vergessen ist. Im Fußball, in der Politik und in der gesamten Gesellschaft.