Erdogan-Rede: Starke Worte statt Fingerspitzengefühl
Wolfgang Radau kommentiert den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Düsseldorf.
Wohlgemerkt — die Türkei ist ein befreundetes Land. Drei Millionen Türken leben hier, geschätzte fünf Millionen Deutsche werden in diesem Jahr ihren Urlaub am türkischen Mittelmeer verbringen.
Trotzdem bleibt Antalya türkisch und Düsseldorf deutsch. Der türkische Ministerpräsident Erdogan trat am Sonntag in Düsseldorf auf wie einer, der hier politische Verantwortung trägt. Das aber steht ihm nicht zu. Er ist Gast. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Das Gastspiel vor mehr als 10 000 Landsleuten war Wahlkampf in Reinkultur. Die Botschaft an seine Landsleute, die am 12. Juni in der Türkei zur Wahl gehen, lautet: Erdogan sagt den Deutschen, die sich gegen die EU-Mitgliedschaft sperren, wo es langzugehen hat.
Die Botschaft an die Türken an Rhein und Ruhr und im übrigen Deutschland: Erdogan gibt euch den Doppelpass — ihr könnt deutsche Staatsangehörige sein und gleichzeitig eure türkische Muttersprache und Kultur behalten.
Das ist bloße Propaganda, denn niemand will die hier lebenden Türken entwurzeln. Richtig ist allein, dass sie die hiesige Landessprache beherrschen und die in Deutschland gelebte Kultur akzeptieren müssen.
Schwer verdaulich ist der Vergleich, den Erdogan zwischen Libyen, wo Zehntausende Türken evakuiert werden, und Deutschland anstellt. Die Türkei schütze sie, ruft Erdogan seinen Landsleuten zu — als lebten sie hier in einem Unrechtsstaat.
Zu den Vorwürfen des Wahlkämpfers Erdogan zählt der, deutsche Behörden würden in Integrationsfragen nicht die Ansichten der zuständigen Behörden in der Türkei beachten. Auch das klingt anmaßend. Deutsche, nicht türkische Behörden sind hierzulande zuständig.
Es mag sein, dass der Mann aus Ankara mit seiner Deutschland-Schelte vielen seiner türkischen Landsleute aus der Seele gesprochen hat — an diesem Sonntag. Am Montag müssen sich Türken und Deutsche wieder im Alltag verstehen.
Neues Verständnis für die politische Position seines Landes hinterlässt Erdogan nicht, wenn er an den Bosporus zurückkehrt. Er möchte EU-Mitglied mit allen Vorteilen einer westlichen Wirtschaft werden, gleichzeitig aber in der arabischen Welt mitmischen. Das geht nur mit Fingerspitzengefühl, nicht mit starken Worten.