Präsident Putin muss Reformwillen zeigen
Jede Nicht-Putin-Stimme ist ein Indikator bröckelnder Macht
Das Land braucht einen Zaren — mit diesen Worten hatte der Präsident der Wolga-Region Tatarstan noch kurz vor der Wahl die Werbetrommel für Wladimir Putin gerührt. Dass Russland diesen Zaren auch bekommt, stand außer Zweifel. Doch sieht ein triumphaler Einzug in den Kreml anders aus, auch wenn das Ergebnis anderes vorgaukeln mag.
Schwere Betrugsvorwürfe säumen Putins Weg, und die Zahl jener wächst, die es satt haben, als Statisten in seinem Polittheater zu fungieren. Jede Nicht-Putin-Stimme ist ein Indikator für seine bröckelnde Macht.
Der künftige Präsident hat nicht mitbekommen, dass allein Patriotismus eine erfolgreiche Politik nicht mehr trägt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sowie in den Zeiten von Armut und Rubelabwertung brauchte das Riesenreich jemanden, der ihm nationalen Stolz und internationale Größe zurückgab.
Inzwischen aber ist eine neue Generation herangewachsen. Selbstbewusst, gebildet und aufmüpfig. Eine Generation, die Korruption und Justizwillkür den Kampf ansagt und zu der Putin zunehmend den Kontakt verliert. Sein Machtgebaren und seine Macho-Posen wirken gerade auf die Jugend nur noch lächerlich.
Die Aussicht auf mindestens sechs weitere Jahre der Agonie birgt einen politischen Sprengsatz, den Putin nicht wird kontrollieren können. Zumal die auf den Abbau von Rohstoffen fixierte Wirtschaft stagniert und sich Wohltaten, so wie er sie im Wahlkampf zuhauf versprach, nicht finanzieren lassen.
Wenn der Mann im Kreml eine Revolution verhindern will, muss er lernen, Kompromisse zu schließen und die Metamorphose vom autoritären Herrscher zum Pragmatiker zu durchleben. Ex-Präsident Michail Gorbatschow hat Putins Dilemma treffend auf den Punkt gebracht: „Wenn er sich nicht selbst überwindet und die Dinge ändert, wird alles auf den Plätzen der Städte enden.“
Der internationalen Staatengemeinschaft zumindest dürfte kaum daran gelegen sein, dass auf den Arabischen Frühling ein Russischer Sommer folgt. Gerade Deutschland ist auf das Land als stabilen Rohstoff- und Handelspartner angewiesen. Bislang muss sich hierzulande niemand Sorgen machen um die Erdöl- und Gaslieferungen. Doch wir sollten uns nichts vormachen: Die russische Zarendämmerung hat begonnen.