Vom Unsinn einer Tatsachenentscheidung
Der Fußball braucht Hilfe.
Düsseldorf. Selten hat ein Tor die Fußball-Nation so bewegt, wie jenes aus Sinsheim, das nun wirklich keines war. Jetzt aber hat die hohe Gerichtsbarkeit des weltgrößten Sportverbandes entschieden: Es ist ein Tor. Eines der kuriosesten der Bundesliga-Geschichte zudem, weil Leverkusens Stürmer Stefan Kießling neben das Tor köpfte, der Ball aber von außerhalb des Spielfeldes durch ein Loch im Netz seinen Weg ins Innere des Tores fand.
Über das Tor von Wembley war die Nation 1966 erbost. Über die Entscheidung zum Phantomtor Kießlings kann sie heute zumeist schmunzeln. Dabei kennt das Urteil des DFB fast nur Verlierer. Nichts anderes meint der Vorsitzende Richter Hans E. Lorenz, wenn er ausführt, dass seine Kinder und seine Lebenspartnerin ihn am Abend beschimpfen würden. Es drückt aber auch das Dilemma aus, in dem die Gerichtsbarkeit steckt.
Sie muss sich an Regeln und Paragrafen halten, selbst wenn ein Schiedsrichter offensichtlich einer Täuschung unterliegt. Felix Brychs Entscheidung war zwar falsch, aber sie ist unumstößlich. Weil es eine Tatsachenentscheidung ist. Brychs Zweifel an der Flugbahn des Balles waren nach Rücksprache mit seinem Assistenten wie weggewischt. Also Tor. So einfach kann das vor Gericht sein.
Doch selbst die Gralshüter der Tatsachenentscheidung, der Weltfußballverband Fifa, können sich nicht als Sieger feiern lassen. Denn das Grundproblem bleibt: Wie falsch darf die Wahrnehmung eines Unparteiischen sein, ohne dass das Sportrecht eingreift. Die Fernsehzuschauer wussten schon nach weniger als einer Minute, dass das Tor kein regulärer Treffer war.
Der Spielleiter hingegen wird dumm gehalten, weil sich die Fifa gegen den Videobeweis sträubt. Eine Haltung, die nicht länger tolerierbar ist. Dass die Fifa nun bei der Club-WM im Dezember erstmals die Torlinien-Technik der deutschen Firma Goal Control einsetzt, mag ein Fortschritt sein. Aber er ist nicht weitreichend genug.
Am Ende dieser Kette von Wahrnehmungsstörungen hilft alleine der Videobeweis. Er hätte vor allem auch Stefan Kießling vor zahlreichen Anfeindungen bewahrt. So wären er, Spielleiter Brych und der Fairplay-Gedanke wirkungsvoll geschützt worden.