Phantomtor gilt - DFB-Sportgericht sieht keine Handhabe
Frankfurt/Main (dpa) - Das unglaubliche Phantomtor von Stefan Kießling bleibt ein gültiger Treffer - und sogar der zuständige Richter des DFB-Sportgerichts ist darüber unglücklich.
Der 62-Jährige Vorsitzende Richter lehnte am Montag in Frankfurt/Main den Einspruch des Hoffenheimer Bundesligisten gegen den 2:1-Sieg von Bayer Leverkusen vom 18. Oktober ab. Für ein Wiederholungsspiel sah er keine Rechtsrundlage. „Meine Kinder und meine Lebenspartnerin werden mich heute Abend beschimpfen. Ich habe für jeden Verständnis, der anderer Meinung ist. Aber als Richter wende ich Gesetze an“, sagte Hans E. Lorenz nach seinem Urteil zum Skandalspiel von Hoffenheim.
Viele Fußballfans hatten ein Wiederholungsspiel gefordert und selbst höchste Fußball-Prominenz wie UEFA-Chef Michel Platini hatte sich dafür ausgesprochen. Phantomtor-Schütze Kießling zeigte sich nach der Verhandlung erleichtert - sichtlich schien ihm der Druck der vergangenen zehn Tage seit der fatalen Entscheidung von Schiedsrichter Felix Brych genommen.
„Ich bin froh, dass nun klar ist, dass ich unschuldig bin, dass ich mit der Situation genau so viel zu tun habe, wie jeder andere auch“, sagte der Stürmer. Auch Referee Brych wurde entlastet. Weil dem Unparteiischen kein Regelverstoß nachzuweisen war, konnte das Gericht nicht anders entscheiden.
Ein Beigeschmack bleibt aber. „Fragen Sie uns nicht, ob uns das Urteil unter sportlichen Gesichtspunkten gefällt. Ein Einspruchsgrund liegt aber nicht vor“, erklärte Lorenz in der Urteilsbegründung nach 90-minütiger Verhandlung. „Die Tatsachenentscheidung gehört zum System und es ist nicht unsere Sache, das System zu ändern.“ Die Entscheidung sei zwar falsch gewesen, aber unumstößlich, kommentierte der Mainzer die Situation beim irregulären Treffer Kießlings. Referee Brych hatte das Tor des Stürmers zum 2:0 anerkannt, obwohl der Ball durch ein Loch im Netz von außen ins Tor geflogen war. Die Partie wird mit 2:1 gewertet.
Hoffenheim kann gegen das Urteil noch Einspruch einlegen und vor das DFB-Bundesgericht ziehen. „Wir prüfen das“, sagte Alexander Rosen, Leiter Profifußball des Clubs, und erklärte in einer ersten Reaktion: „Wir sind zunächst unheimlich enttäuscht.“
Die bundesweite Diskussion und der Prozess wären zu vermeiden gewesen, so Lorenz, „wenn wir uns dazu durchringen könnten, die Torlinientechnologie einzusetzen. Den Fall der juristischen „Unerträglichkeit“ sah er nicht. Der wäre nur gegeben, wenn ein Spieler den Ball zehn Meter über das Tor geschossen hätte, der Ball von einem Gestänge des Stadiondachs zurückgeprallt und durch ein Loch im Netz von hinten wieder ins Tor gerollt wäre. „Wenn es also für alle offensichtlich gewesen wäre, dass es kein Tor war.“ Im Fall Kießling aber war dies nur dank der TV-Kameras zu sehen.
Lorenz hatte zum Auftakt ausdrücklich die Unabhängigkeit des Sportgerichts von der FIFA erklärt. Der 62-Jährige folgte aber den Regeln des Weltverbandes, wonach die Tatsachenentscheidung der Schiedsrichter unumstößlich ist. Auch Anton Nachreiner hatte als Vorsitzender des DFB-Kontrollausschusses dafür plädiert, das Spiel nicht zu wiederholen.
Schiedsrichter Brych konnte das Phantomtor nicht genau erkennen, da ihm Spieler die Sicht versperrt hatten. „Ich habe gedacht, der Ball geht am Tor vorbei. Ich habe den Ball aus den Augen verloren durch eine Sichtbehinderung“, erklärte er. „Danach habe ich gesehen: Der Ball lag im Tor.“ Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler hatte sich erneut dafür ausgesprochen, nur 22 Minuten nachspielen zu lassen, da Kießlings Treffer in der 70. Minute gefallen war.
„Wenn dieses Tor heute Bestand hat, dann wird es uns bis zum Saisonende begleiten, möglicherweise noch darüber hinaus“, hatte 1899-Anwalt Markus Schütz vergebens gewarnt. Der 2:1-Sieg für Leverkusen könnte am Saisonende Auswirkungen auf den Abstieg und die Qualifikation für Plätze in der Champions League haben.
Laut Lorenz gab es keine offizielle Anfrage des DFB an die FIFA, sondern nur einen informellen Austausch von DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock mit einem FIFA-Vertreter. „Der FIFA-Vertreter hat uns zu verstehen gegeben, dass es ihnen fernliegt, uns irgendwelche Vorschriften zu machen“, so der Richter. 1994 hatte das Sportgericht im Fall des Phantomtors von Thomas Helmer (FC Bayern München) auf Wiederholungsspiel entschieden, später hatte die FIFA ihre Regel verschärft.
In der Verhandlung kam Kießling eine besondere Rolle als Zeuge zu. Der Angreifer selbst dachte bei seinem Phantomtor im ersten Moment, Hoffenheims Torwart Koen Casteels hätte den Ball noch ins Netz gelenkt. „Ich sehe den Ball Richtung Außennetz fliegen, die Sicht war versperrt, ich sehe den Einschlag nicht, aber dass der Ball dann im Tor war.“
Brych sagte über die kurze Unterhaltung mit dem Leverkusener Profi unmittelbar nach dem irregulären Treffer, er könne sich an den genauen Wortlaut nicht erinnern: „Sinngemäß hat er auch Zweifel an der Flugbahn des Balles geäußert. Er hat nicht gesagt, dass es kein Tor war.“ Die Platzwarte von 1899 Hoffenheim hatten vor Gericht keine Erklärung für das Loch im Netz.