Altschuldenproblematik Wie NRW jetzt den Schuldenschnitt plant

Berlin/Düsseldorf · Die NRW-Landesregierung macht einen neuen Vorschlag zur Lösung der Altschuldenproblematik. Aber: Der Bund soll mitmachen. Ist das Bedingung?

 Gemeinsam mit den Ministerinnen für Wirtschaft und für Bau, Mona Neubaur (Grüne) und Ina Scharrenbach (links, CDU) äußerte sich Ministerpräsident Hendrik Wüst zur Altschuldenlösung.

Gemeinsam mit den Ministerinnen für Wirtschaft und für Bau, Mona Neubaur (Grüne) und Ina Scharrenbach (links, CDU) äußerte sich Ministerpräsident Hendrik Wüst zur Altschuldenlösung.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Draußen am Eingang der mächtigen NRW-Landesvertretung an der Berliner Hiroshimastraße stehen die Sektkübel, es geht edel zu, das Land hat zum NRW-Fest geladen. Einmal im Jahr reist der ganze Tross aus Politikern und Wirtschaftsvertretern nach Berlin, um in der Hauptstadt Eindruck zu machen – und auch mit der Bundespolitik ins Gespräch zu kommen. Das Ganze kurz vor der Europawahl, ein gut geplanter Aufschlag, den die Landesregierung an diesem Dienstag fein zu nutzen weiß.

Seit Monaten schwelt ihr Versprechen gegenüber den zahlreich verschuldeten NRW-Kommunen, für eine neue Altschuldenlösung – also die Übernahme von kommunalen Altschulden, die neue Investitionen vor Ort seit Jahren und Jahrzehnten verhindern – einzutreten. Der erste Aufschlag war 2023 zu klein geraten, weil das Land de facto kein eigenes Geld zuschießen, sondern die Kommunen über andere Töpfe zur Sparsamkeit beschneiden wollte. Jetzt folgt der Aufschlag in Berlin. Kurz vor dem ersten Sekt und einem launigen Abend setzt Wüst das Zeichen bewusst hier: Er will nicht nur bundespolitisch Punkte machen, sondern gleich auch den Handschlag der Bundesregierung, die per Koalitionsvertrag festgelegt hatte, sich an einer Lösung für die Kommunen hälftig zu beteiligen. Bundeskanzler Olaf Scholz war damit für seine Verhältnisse lautstark in den Wahlkampf gezogen.

Der Plan aus NRW zuerst: Die Landesregierung will in den nächsten 30 Jahren ab 2025 aus eigenen Landesmitteln insgesamt 7,5 Milliarden Euro ausgeben, um den Kommunen beim Abbau ihrer Altschulden zu helfen. Eine Lösung könne es aber nur gemeinsam mit dem Bund und den Kommunen geben, sagt Wüst nach der Sitzung seines Kabinetts in Berlin. Er erwarte, dass der Bund dieselbe Summe zuschieße, sodass die Kommunen jährlich eine halbe Milliarde Euro erhielten, insgesamt also über 30 Jahre 15 Milliarden, bei einem Kassenkreditbestand von etwa 20,9 Milliarden Euro in den NRW-Kommunen zum 31.12.2023, wie Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) ausführt.

Ob er das mit Merz besprochen habe, weil doch die Unionsfraktion für eine Bundeslösung zustimmen müsste, wenn eine Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung gebraucht würde, fragt einer Wüst. „Da die Bundesregierung sich in ihrem Koalitionsvertrag selbst zu einer Altschuldenlösung bekennt, habe ich keinen Anlass, zu glauben, dass der Bund nicht Wort halten wird.“ Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat zuletzt Eckpunkte geliefert, „die NRW als Gesprächsgrundlage akzeptiert“. Überhaupt sieht der 48 Jahre alte NRW-Landesvater jetzt vor allem die Bundesregierung in der Pflicht: Falls für die Altschuldenregelung eine Grundgesetzänderung nötig wäre, so formuliert er es, sei es Aufgabe des Bundes, dafür Mehrheiten zu organisieren. Der Bund müsse auch beschreiben, wie er sich die Beteiligung der Kommunen an der Aufgabe vorstelle.

Klar ist: Die NRW-Landesregierung hat das Geld tatsächlich schon im Eckwertebeschluss für den Haushalt 2025 eingepreist, so ist am Rande der Szenerie zu hören. Möglich, dass man auch ohne den Bund dieses Geld aufwenden würde. Sagen tut das an diesem Dienstag niemand, es ist viel Taktik im Spiel und im Raum. NRW hat den ersten Ball rechtzeitig geschlagen: Für den 5. Juli hat das Bundesfinanzministerium eine Fachkonferenz mit den beteiligten Ländern zur Situation der Kommunalfinanzen angesetzt.

Die Städte ächzen nach einer Lösung, auch jene aus unserer Region: Krefeld plagen Altschulden von rund 327,5 Millionen Euro, Solingen belasten etwa 573 Millionen Euro jährlich, weil dafür immer Zinsen aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden müssen. Von Wuppertal ganz zu schweigen: Hier sind es rund 801,6 Millionen Euro Schulden. Auch deswegen ist die Stadt im Aktionsbündnis für die Würde unserer Städte, mit dem Wüst nach eigener Aussage in den kommenden Wochen zusammenkommen will. „Ist ja nicht das erste Mal, dass das Land per Pressemitteilung eine Lösung ankündigt“, sagt Wuppertals Kämmerer Torsten Bunte (SPD). Gegenüber dem gescheiterten Lösungsversuch des vergangenen Jahres sei das aber eine deutliche Verbesserung, „die mehr als überfällig war“. Bunte: „Jetzt muss man abwarten, welchen konkreten Gesetzentwurf das Land vorlegt, und wie sich der Bund positioniert. Und wir müssen für uns konkret rechnen, was das für Wuppertal bedeuten würde. Es ist auch offen, welche Auflagen für die Kommunen damit verbunden bleiben.“ Krefelds OB Frank Meyer (SPD) hält das Ganze für einen Erfolg des „monatelangen Drucks der Kommunen“ und für einen „guten Anfang“. Aber auch er will „mehr Details kennen“. Wie Solingens Kämmerer Daniel Wieneke (SPD): „Es sind noch viele Fragen offen.“ Justus Moor aus der SPD-Landtagsfraktion sagt: „Ihre bisherige Blockadehaltung muss die Union nun dringend beenden. Ihre internen Querelen rund um die Kanzlerkandidatur dürfen das Verfahren nicht lähmen und noch weiter in die Länge ziehen.“

Das Bundesfinanzministerium ist auf Nachfrage dieser Zeitung noch zurückhaltend. Die Bundesregierung halte an dem Ziel fest, die Kommunen zu entschulden, heißt es. Aber: „Für eine gezielte und zusätzliche Beteiligung des Bundes an einer kommunalen Altschuldenhilfe bedarf es allerdings wegen der grundgesetzlichen Regelungen zur eigenständigen Finanzierungsverantwortung und zur Haushaltsautonomie zwingend einer Grundgesetzänderung mit den hierfür notwendigen 2/3-Mehrheiten im Deutschen Bundestag und im Bundesrat.“ Der Bund habe einen Vorschlag in Form von Eckpunkten vorgelegt und „auf dieser Grundlage in vielen Gesprächen mit den Ländern und den relevanten Parteien im Deutschen Bundestag die Mehrheitsfähigkeit der erforderlichen Grundgesetzänderung in Bundestag und Bundesrat sondiert“. Und dann: „Trotz dieser Gespräche ist derzeit nicht erkennbar, ob die erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können. Die Gespräche sind daher noch nicht abgeschlossen.“