Mit Plädoyers ist vor dem Oberlandesgericht Hamm die mündliche Verhandlung im Fall der Klimaklage eines peruanischen Bauern gegen den Energiekonzern RWE beendet worden. Die Entscheidung will das Gericht am 14. April verkünden.
In dem Zivilprozess will der Landwirt und Bergführer Saúl Lliuya erreichen, dass sich der Energiekonzern RWE an Kosten für Schutzmaßnahmen gegen eine mögliche Flutwelle durch den Gletschersee Palcacocha beteiligt, die sein Haus am Fuße der Anden in der Stadt Huaraz treffen könnte. Die Flutwelle könne infolge der Erderwärmung etwa durch einen Gletscherabbruch oder einen Felssturz ausgelöst werden. Der See liegt auf 4560 Metern Höhe, das Haus etwa 25 Kilometer unterhalb des Sees.
Kläger wird von Germanwatch unterstützt
Nach Ansicht des Klägers trägt RWE daran eine Mitverantwortung, weil das Unternehmen durch seinen Kraftwerkspark große Mengen Treibhausgase erzeugt. Der 44 Jahre alte Kläger wird von der Stiftung Zukunftsfähigkeit und der Umweltorganisation Germanwatch unterstützt. RWE hält die schon 2015 eingereichte Klage für rechtlich unzulässig.
Am zweiten Tag der mündlichen Verhandlung stand erneut das Gutachten der beiden Sachverständigen im Mittelpunkt. Ihr Gutachten sollte die Frage des Gerichts beantworten, ob in den nächsten 30 Jahren eine ernsthafte Beeinträchtigung des Hausgrundstücks des Klägers durch eine Überflutung oder eine Schlammlawine droht. Dies verneinten sie.
Gutachter berechneten Sicherheitspuffer mit ein
Die Gutachter machten deutlich, dass sie bei ihren Berechnungen mehrere Sicherheitspuffer eingerechnet haben. So habe man etwa angenommen, dass die Höhe des Gletscherseedamms durchgängig gleich hoch sei, obwohl der Damm in manchen Bereichen in Wirklichkeit höher sei, erklärte der Darmstädter Geowissenschaftler Rolf Katzenbach.
Die Gutachter halten eine von dem Gletschersee ausgehende Flutwelle etwa durch eine Eislawine für unwahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt von als realistisch eingeschätzten Überflutungsszenarien gaben sie für die kommenden 30 Jahre mit einem Prozent an. Kommt es doch zu einer Flutwelle, wird das Klägergrundstück nach Berechnungen der Gutachter höchstens 20 Zentimeter hoch überschwemmt. Dies mache der Bausubstanz nichts aus, hatte Katzenbach am Montag gesagt.
Kläger-Gutachter: Klimafaktor muss einbezogen werden
Die Anwälte und Gutachter des Klägers widersprachen den Sachverständigen und warfen ihnen eine Unterschätzung des Risikos vor. „Es gibt verschiedene Indikatoren, die mir zeigen: Dieser Berg ist in Bewegung“, sagte der Gutachter der Kläger, der Geotechniker und Permafrost-Experte Lukas Arenson von der kanadischen Geotechnik-Beratungsgesellschaft BGC. So würden etwa Bergführer häufig Steinschlag beobachten. Auch könne ein von den Gutachtern als stabil beurteilter Felsen oberhalb des Sees durchaus abbrechen. Als Beispiel zeigte er ein Foto einer Felsspitze aus dem gleichen Material aus den USA, von der ein Teil weggebrochen sein soll. Auch seien große Felsstürze möglich.
Arenson betonte, die Auswirkungen der Erderwärmung auf den Permafrostboden, der oberhalb des Sees vorliegt. „Die Gebirgsfestigkeit nimmt durch die Permafrost-Erwärmung ab“, sagte er. In der Folge komme es im Hochgebirge zu Instabilitäten. In die Wahrscheinlichkeitsberechnungen müsse daher ein Klimafaktor eingerechnet werden. Dann könne die Wahrscheinlichkeit für eine Flutwelle auf 10 oder 20 Prozent steigen. Die Gutachter betonten, dass der Klimawandel bereits in den Berechnungen berücksichtigt sei.
Aktivistin Neubauer: Der Fall ist historisch
Unter den Zuhörerinnen und Zuhörern war auch die Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer. „Der Fall von Saúl gegen RWE zeigt, dass die Hoffnung lebt - und kämpft“, hatte sie vor dem zweiten Verhandlungstag gesagt. Der Fall sei schon jetzt unabhängig vom Ergebnis historisch. „Er zeigt, dass Menschen auf der ganzen Welt bereit sind, den Kampf mit den fossilen Konzernen aufzunehmen.“
RWE-Anwalt Moritz Becker sagte, dass die von den Gutachtern festgestellte Eintrittswahrscheinlichkeit von einem Prozent in keinem Fall ausreichend sei. Es müssten mindestens 50 Prozent sein. Er sprach sich grundsätzlich gegen eine sogenannte zivilrechtliche Klimahaftung aus. Zu Ende gedacht, würde dies zu Klagen von Jedem gegen Jeden führen. Er gehe davon aus, dass die Klage scheitere.
Roda Verheyen, die Anwältin des Klägers, warf den Sachverständigen vor, ihr Gutachten auf einer Betrachtung der Vergangenheit aufzubauen und die Folgen der Erderwärmung nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Die von den Gutachtern festgestellte Wahrscheinlichkeit von einem Prozent nannte sie „kein geringes Risiko“. „Es ist nicht richtig, dass kein Risiko vorliegt.“ Mit anderen Annahmen komme das Gutachten des Klägers auf eine Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent, dass eine Flutwelle das Haus des Bergführers beschädige.
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