Auch Flüchtlinge beteiligen sich an der Schweigeminute

Der Terror von Paris ist allgegenwärtiges Thema in der Stadt. Schulen und Kindergärten registrieren hohen Gesprächsbedarf.

Foto: Doro Siewert

Burscheid. Es geht auf 12 Uhr zu, ein Fahrer des Cateringbetriebs Nickut liefert gerade das Mittagessen für die in der Hans-Hoersch-Halle untergebrachten Flüchtlinge an. Doch das Verteilen muss warten. Die Menschen versammeln sich im Gang vor den durch Trennwände geschaffenen Zimmern und fassen sich an den Händen. Einige Bewohner der nahen Unterkunft an der Höhestraße 40 stoßen hinzu. Eine Minute des Gedenkens an die Terroropfer von Paris.

Foto: DS

Angela Sauer, Hausleitung des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in der Halle, hatte die Teilnahme an der weltweiten Aktion angeregt. Erschüttert berichtet sie davon, dass sich Flüchtlinge bei ihr für die Anschläge vom Freitagabend entschuldigt hätten — als trügen diejenigen, die selbst vor dem Terror des Islamischen Staats geflohen sind, irgendeine Verantwortung für das Blutbad von Paris.

Foto: Nicole Haase

Die Gewalttaten beschäftigen die Flüchtlinge offenbar sehr. Mohammed (44), aus dem Irak mitsamt seiner Frau und den sechs Kindern nach Deutschland geflohen, spricht von Traurigkeit und Fassungslosigkeit, die bei allen Bewohnern vorherrschen würden. Und dann redet sich der Mann, der nach eigenen Angaben in seiner Heimat Schiffskapitän war, in Rage über den Islamischen Staat. „Diese Menschen zerstören unser Land. Sie sind ohne jede Menschlichkeit im Herzen. Und sie glauben nicht an Gott.“ Widerspruch eines Muslims an die Adresse derjenigen, die sich beim Morden auf seine Religion berufen.

Mohammed erzählt auf Englisch von seiner Crew, in der viele Hautfarben, Religionen und Nationen vertreten gewesen seien. Er ruft einen Syrer herbei, der von schlaflosen Nächten nach den Anschlägen in Paris berichtet. Und er sagt in Dankbarkeit für die Unterbringung in Burscheid: „Wir bekommen ein Lächeln und geben zwei zurück. Wir bekommen eine Blume und geben zwei zurück.“

Auch auf Anregung des ASB wird es als Reaktion auf den Terror von Paris am Donnerstagabend um 19 Uhr in der evangelischen Kirche am Markt ein interreligiöses Friedensgebet geben, zu dem alle Burscheider und hier untergebrachten Flüchtlinge eingeladen sind. Neben Vertretern der christlichen Gemeinden wird Imam Erdal Sayar vom Türkisch-Islamischen Kulturverein teilnehmen. Auch Bürgermeister Stefan Caplan hat bereits zugesagt. Im Anschluss sollen die Flüchtlinge mit einem Lichtergang zu ihren Einrichtungen zurückbegleitet werden.

Murat Türksoy vom Vorstand der türkischen Ditib-Gemeinde verurteilt den Terror von Paris im Namen des Vereins aufs Schärfste. „Wir sind zutiefst getroffen von diesen niederträchtigen Mordtaten.“ Man sei mit Gedanken und Gebeten bei den Opfern und Angehörigen. Er spricht von Sorgen, dass die in Burscheid geschaffene Atmosphäre der Verständigung zwischen den Muslimen und der übrigen Bevölkerung durch die Attentate belastet werden könnte.

Auch die Stadtverwaltung beteiligt sich an der Gedenkminute, ebenso eine Reihe von Schulen. Und überall zeigen die Schüler am ersten Schultag nach den Terrorangriffen Gesprächsbedarf. „Viele äußern Angst, dass die Anschläge näher rücken und etwas Ähnliches auch hier passieren könnte“, sagt die kommissarische Hauptschulleiterin Marita Prandl-May. „Und natürlich wollen alle wissen, warum die Überwachung nicht besser funktioniert und was man tun kann.“

Realschulrektorin Angelika Büscher plant mit ihrer Klasse für das kommende Schuljahr eine Abschlussfahrt nach Frankreich. „Da war bisher auch ein Tag in Paris vorgesehen. Das wird jetzt natürlich heiß diskutiert und ich werde mit dem Veranstalter sprechen, ob das Programm gegebenenfalls geändert werden kann.“

Auch in den Grundschulen registrieren die Lehrer das Bedürfnis ihrer Schüler, das Geschehen von Paris zu verarbeiten. „Wir haben in unserem Montagmorgenkreis darüber gesprochen“, sagt Rektorin Corinna Stobbe. Sie selbst habe dann noch einmal eine kurze Erklärung vor der gemeinsamen Schweigeminute in der Schulaula abgegeben.

Heller Matthes, stellvertretende Leiterin der Hilgener Kindertagesstätte Kleine Strolche, berichtet von sehr unterschiedlichen Reaktionen der Vorschulkinder. „Manche haben mit ihren Eltern darüber gesprochen, andere haben nur die Bilder im Fernsehen konsumiert und nicht richtig verstanden, worum es geht.“ Einige Kinder hätten am Vormittag dann auch Bilder gemalt — „mit Herzen für jeden Toten“.