Babylonisches Sprachgewirr im Herzen Europas
BV-Mitarbeiter Julius von Dryander über seine ersten Erfahrungen als Praktikant bei der EU in Brüssel.
Brüssel/Burscheid. Angekommen bin ich vor gut zwei Wochen in einer der kleinsten Hauptstädte Europas — in der man nichtsdestotrotz tagtäglich gewaltig den Pulsschlag Europas spüren kann. Mein Leben spielt sich zurzeit ab zwischen europäischen Regularien, Vereinbarungen und Abkommen in einem der unzähligen Büros im Europaviertel, zwei Kilometer entfernt vom berühmten „Grand Place“ abseits der idyllischen Altstadt von Brüssel.
Jeden Morgen mache ich mich zu Fuß auf von meiner kleinen Dachgeschosswohnung im vierten Stock eines unglaublich renovierungsbedürftigen Altbaus (mit Traumblick bis zum Atomium, dem Wahrzeichen von Brüssel) in Richtung Europaviertel. Dabei teile ich den Trottoir mit unzähligen geschäftig eilenden Anzugträgern und Damen im Kostüm; gestresste Fahrradfahrer bahnen sich halb auf dem Gehweg und halb zwischen den im Stau stehenden Pkws ihren Weg zur Arbeitsstelle.
Vorbei am Schuman-Platz (Robert Schuman war 1950 der erste Protagonist des europäischen Gedankens und wurde 1958 erster Präsident des EU-Parlaments), wo die Europäische Kommission ihren Sitz hat, stehe ich nach einem etwa 15-minütigen Marsch entlang hoher, schöner und weniger schöner Gründerzeitfassaden im Schatten eines riesigen Glaspalastes, in den ich dank eines speziellen Ausweises eingelassen werde.
Das EU-Parlament ist das wohl zweitgrößte zusammengesetzte Gebäude der Welt und wirkt wie ein Baukasten aus dem Gebäude des Plenarsaals, anderen Gebäudeteilen und den Fraktionstürmen, die mit Brücken und Galerien zusammengehalten und erschlossen werden.
Zunächst könnte man meinen, es handele sich bei dem Gebäude um ein riesiges Einkaufszentrum: Ein Friseur fällt ins Auge, eine Kaffeebar; einen Supermarkt, Reisebüros und sogar Banken gibt es. Doch entscheidet man sich, einen der zahlreichen Aufzüge oder Rolltreppen zu nehmen, kommt man in so eine ganz andere Welt: in nicht enden wollenden Fluren reiht sich Büro an Büro. Jede größere Fraktion, die im EU-Parlament vertreten ist, unterhält hier in einem eigenen „Turm“ das Büro ihres jeweiligen Abgeordneten, in meinem Fall Herbert Reul, und die Büros der entsprechenden fraktionsangehörigen Assistenten und Praktikanten.
Spätestens in der Mittagspause merkt man, dass man sich im Herzen Europas befindet: Im Gewimmel aus Französisch, Englisch, Italienisch und Deutsch beginnt einem der Kopf zu schwirren; bedenkt man, dass sämtliche Sprachen der 28 europäischen Mitgliedsstaaten an diesem Ort vertreten sind, mag man schnell an babylonische Sprachverwirrung denken.
In der ersten Woche war ich damit beschäftigt, mich in diesem großen Gebäude- und Gänge-Wirrwarr zu orientieren, die anderen Praktikanten kennenzulernen und mich in die momentan in der EU-Politik aktuellen Themen einzuarbeiten: TTIP, das viel diskutierte Thema „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (Freihandelsabkommen) zwischen den USA und Europa, sowie die nicht enden wollenden Regularien zu europäischen Standards für Staubsauger oder Haarföhne — zwei Themenbereiche, die unterschiedlicher nicht sein können, aber zeigen, dass ich angekommen bin in einer Welt, die sonst für mich eigentlich nur in den Medien existierte und so vielseitig ist, wie es die Diskussionen um Staubsauger und das TTIP sein können.