DDR-Serie: Erst nach der Grenze das Ziel überlegt

Marika Iwaszkiewicz hatte immer die Sehnsucht, die DDR zu verlassen. Nach dem Mauerfall kam sie nach Burscheid.

Burscheid. Heute nennt Marika Iwaszkiewicz Burscheid ihr Zuhause. Doch nicht immer hat sie hier gelebt. Aufgewachsen ist sie in Neukirchen bei Chemnitz. Dort ist sie zur Schule gegangen, hat geheiratet und ihren Sohn bekommen. Doch innerlich verwurzelt war sie dort nie. "Ich hatte immer schon die Sehnsucht, die DDR hinter mir zu lassen. Für mich war klar, dass ich bei der ersten Möglichkeit das Land verlassen würde."

Diese Möglichkeit ergab sich vor fast genau 20 Jahren: "Jeder von uns hat damals das Knistern in der Luft gespürt", beschreibt Marika Iwaszkiewicz die Zeit vor dem Mauerfall. "Wir alle hatten das Gefühl, so etwas wie eine Revolution war im Gange."

Am 9.November 1989, dem Tag des Mauerfalls, stellte sich auch in Neukirchen der Bürgermeister den Fragen der Bewohner. "Diese spontane Veranstaltung fand in der Kirche statt. So voll wie zu diesem Zeitpunkt hatte ich sie noch nie gesehen", sagt die heutige Burscheiderin.

Der Bürgermeister versuchte, das Bild der DDR aufrechtzuhalten. "In diesem Moment gab es unter den Zuhörern in der Kirche ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie nie zuvor und natürlich wussten wir, dass etwas passieren würde."

"Als wir nach der Veranstaltung nach Hause kamen und den Fernseher einschalteten, wurde plötzlich die Meldung durchgegeben: ,Das Ausreisen und das Verlassen der DDR ist ab sofort möglich.’ Das war unglaublich und nahezu unfassbar." Für die junge Frau stand fest: Jetzt fahre ich in den Westen.

Am nächsten Tag ging sie zunächst normal zur Arbeit. "Ich verließ meine Arbeitsstelle früher, um mir für die Reise in den Westen einen Stempel geben zu lassen. Der Rathausplatz, wo man das Visum bekam, platzte nahezu aus allen Nähten, so viele Menschen hatten denselben Gedanken", sagt Iwaszkiewicz.

Gemeinsam mit einem befreundeten Ehepaar machte sich die kleine Familie abends auf in Richtung des Grenzübergangs Herleshausen. "Sieben Kilometer vor Erfurt ging nichts mehr. Die Straße war total voll, scheinbar wollte jeder die Gelegenheit nutzen und in den Westen fahren."

Für die restlichen 20 Kilometer brauchte die kleine Familie knapp sieben Stunden. Erst am Morgen des nächsten Tages konnte sie die Grenze passieren. "Mit Herzklopfen fuhren wir an den Grenzern vorbei. Als wir langsam über den Grenzübergang rollten und dann westdeutschen Boden erreicht hatten, war die Freude groß", sagt die gebürtige Neukirchenerin mit Tränen in die Augen.

Einer der Mitreisenden hatte eine westdeutsche Fahne mit dabei, die er sofort nach der Grenze hervorholte. "Wir alle waren euphorisch und überglücklich."

Erst dann kam die Frage auf, wo die Reise eigentlich hingehen sollte. "Wir entschieden uns dann spontan, zu der Tante meines Mannes zu fahren, die in Burscheid wohnt." Für die Verwandten im Bergischen Land war es ein freudiges Ereignis, die Familie so überraschend zu empfangen "Trotz allem war für uns klar, dass dies nur ein Besuch war und wir wieder nach Hause fahren würden", sagt Iwaszkiewicz.

Am 13. November traten sie die Rückfahrt an. "Feiertage, lange Wochenenden - zu jeder Gelegenheit fuhren wir wieder ins Bergische Land. Natürlich wären wir am liebsten sofort in Burscheid geblieben. Aber wir hatten keinen Job und keine Wohnung", sagt Iwaszkiewicz. Anfang 1991 erhielt der Mann von Marika Iwaszkiewicz dann die Möglichkeit, als Fernfahrer bei einer Langenfelder Spedition anzufangen.

"Im Februar zog er nach Burscheid zu seiner Tante. Vor Ort machte er sich dann auf die Suche nach einer Wohnung für uns drei." Kurze Zeit später kam Marika mit ihrem Sohn nach.

"Im Nachhinein haben wir viel Glück gehabt und vor allem von vielen Seiten tatkräftige Unterstützung erhalten", sagt Marika Iwaszkiewizc. "Dank der Verwandten meines Mannes und seines Arbeitgebers sind wir das, was wir heute sind." Die ehemalige DDR-Bürgerin hat ihre Heimat in Burscheid gefunden und ihr Herz an das Bergische Land verloren. "Ich habe diese Entscheidung noch nie bereut und würde alles wieder so machen", sagt sie.