Interview „Der Karneval schenkt den Menschen wieder Zuversicht“

Wie erleben Sie gerade die Situation im zweiten Lockdown?

 Heinz-Günter Hunold (Mitte) ist Präsident der Roten Funken.

Heinz-Günter Hunold (Mitte) ist Präsident der Roten Funken.

Foto: Stephan Eppinger

Heinz-Günther Hunold: Wir erleben sehr intensive Momente. Das war der Fall, als wir im Vorstand am Wochenende 550 Pakete persönlich an die Mitglieder verteilt haben. Das erste Mal im Leben konnten wir sehen, wie und wo die Leute leben. Das ist ein bunter Schnitt durch die Gesellschaft und doch versucht jeder, jetzt mit der Situation im Lockdown fertig zu werden. Da ist es unerheblich, ob man in einer kleinen Wohnung oder in einem großen Haus lebt. Viele spüren jetzt die Leere und vermissen den direkten Kontakt, den das Leben in Köln in einem besonderen Maße ausmacht. Wir versuchen in dieser Zeit, den Menschen ein kleines Stück Fröhlichkeit zu schenken. Und egal, ob sie in einem Altenheim oder in einer Villa in Marienburg leben, die Dankbarkeit ist riesen groß. Das zeigt, was der Karneval den Menschen im Leben schenken kann – in normalen wie in schwierigen Zeiten. 

Es gab immer wieder Krisenzeiten auch in der fast 200-jährigen Geschichte der Roten Funken.

Hunold: Das war zum Beispiel der Erste Weltkrieg. Da gibt es Bilder von Roten Funken in den Schützengräben, die versuchen mit Kumede-Stücken die andern aufzuheitern. Der damalige Präsident hat seinen Funken jede Woche ein Paket an die Front geschickt und dabei sein gesamtes Vermögen aufgebraucht, sodass er nach seinem Tod eigentlich in einem Armengrab beerdigt werden sollte. Das haben die Roten Funken aber verhindert und heute gehört es zum Start in die Session, dass wir uns an Allerheiligen auf Melaten treffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, bei dem Köln zu 90 Prozent zerstört wurde, war es eigentlich verboten, einen Rosenmontagszug zu starten. Die Roten Funken sind trotzdem durch die Stadt gezogen und haben den Überlebenden damit gezeigt, dass eine schreckliche Zeit zu Ende ist und der Neubeginn bevorsteht. Daher ist für uns jetzt in der Corona-Krise wichtig, uns zu engagieren und den Leuten etwas Freude in schwierigen Zeiten zurückzubringen. Natürlich wissen wir, dass es Menschen gibt, die jetzt um ihre Toten trauern. Aber ist auch jetzt wichtig, durch den Karneval zu zeigen, dass man wieder nach vorne blicken und auf bessere Zeiten hoffen kann.

Wie nutzen Sie dazu die digitalen Kanäle?

Hunold: In diesem Jahr konnten wir unser traditionelles Regimentsexerzieren im Maritim nicht wie gewohnt durchführen. Stattdessen gab es eine zweistündige Fernsehsendung im Internet mit vielen kleinen Geschichten von den Mitgliedern, die sogar kleine Spielfilme produziert haben. Etwa 45.000 Follower haben sich das online angeschaut. Das zeigt, dass die Leute Sehnsucht nach einem Stück Nähe haben, für die der Karneval steht. Normalerweise treffen wir uns jetzt in der Session einmal in der Woche in der Ulrepforte, unserem Stammquartier, um die wichtigen Dinge für die kommenden Tage zu besprechen. Das machen wir jetzt virtuell mit jeweils 160 bis 180 Mann, die mit ihren Krätzjen auf dem Kopf zu Hause vor ihren Bildschirmen sitzen. Am Karnevalssamstag haben wir normalerweise unser großes Funkenbiwak auf dem Neumarkt, dem alten Kölner Exezierplatz. Daraus werden wir nun eine Fernsehsendung machen, bei der wir auch den Preis an die Musiker der „Bands Zesamme sin mer Fastelovend“ vergeben. Auf Facebook gibt es außerdem noch ein Fitnesstraining, bei dem unser Tanzpaar die Trainerrolle übernimmt.

Gibt es auch noch klassische Veranstaltungen vor Ort?

Hunold: Ja, aber natürlich Corona-konform. So werden sich die neun Traditionskorps jetzt im Autokino in Porz treffen. 600 Wagen haben sich angesagt. Die Karten wurden auf die Gesellschaften aufgeteilt. Das ist die einzige Präsenzveranstaltung in dieser Session. Außerdem werden wir wie schon zum Elften im Elften auch an Straßenkarneval mit dem Zeppelin über Köln fliegen. Das hängt allerdings noch vom passenden Wetter ab. 

Was sind für Sie als Präsident von Kölns ältestem Traditionskorps derzeit die größten Herausforderungen?

Hunold: Es geht darum, den Leuten Mut zu machen, gerade wenn sie sich im Lockdown immer mehr abnabeln. Deshalb finde ich es richtig und wichtig, an Weiberfastnacht im Kostüm zur Arbeit zu gehen. Das Leben bleibt auch in der Krise bunt. Man muss sich nur selbst dazu bekennen. Es ist schön zu sehen, wie viel Kreativität jetzt in dieser schwierigen Zeit da ist und was diese bewirken kann. So eine Karnevalssitzung ermöglicht es den Menschen in normalen Zeiten, einmal für ein paar Stunden komplett abzuschalten und im gefüllten Saal in ein Wohlfühlbecken einzutauchen. Das machen wir jetzt virtuell und es kommt unglaublich gut bei den Leuten an.

Was macht Ihnen Hoffnung und was Sorgen?

Hunold: Hoffnung macht mir, wie dankbar die Menschen auf unsere Angebote reagieren. Da haben wir so viele Rückmeldungen wie noch nie zuvor. Das gilt für die Pakete an die Mitglieder genauso wie für die vielen virtuellen Formate. Wir schaffen es da, bei den Menschen etwas zu bewirken. Sie erfahren so Wertschätzung und Zusammenhalt. Das gilt auch für ganz alltägliche Dinge, wie die Hilfe beim Einkaufen. Was fehlt, ist natürlich der reale Schulterschluss zu anderen Menschen. Ich hoffe, dass dieses Miteinander, die Solidarität und das aufeinander Achtgeben auch nach der Krise nicht in Vergessenheit gerät. Das wäre meine Sorge, wenn die Menschen einfach alles wieder vergessen und so weiter machen wie bisher. Man muss diese Zeit, in der die Welt durch die Pandemie angehalten wird und eine Sinnpause entsteht, auch nutzen, um sich neu zu orientieren. Das gilt auch für uns als Traditionskorps.