Literatur Die Biografie eines Kölner Sammlers

Köln · Der Namen dieser Kölner Familie findet sich heute in einem der großen Museen der Stadt wieder – dem Rautenstrauch-Joest-Museum im Kulturquartier am Neumarkt. Wilhelm Joest wurde 1852 Sohn des wohlhabenden Kölner Zuckerfabrikanten Carl Joest geboren.

Ein indonesischer Reisspeicher beeindruckt im Foyer des Rautenstrauch-Joest-Museums im Kulturquartier.  

Foto: picture alliance / dpa/Oliver Berg

Nachdem Joest zunächst Naturwissenschaften und Sprachen in Bonn, Heidelberg und Berlin studiert hatte, begab er sich ab 1874 im Alter von 22 Jahren auf seine ersten Weltreisen in dem Orient und in die nordafrikanischen Küstenländer. Auch Amerika und Asien sowie später Australien und später auch die Südsee standen auf seinem Reiseplan.

Während dieser Reisen begann Joest, seine umfangreiche ethnologische Sammlung anzulegen. Später zog er nach Berlin, studierte Ethnologie, promovierte, habilitierte und gehörte bald den gehobenen wissenschaftlichen Kreisen um dem Direktor des Museums für Völkerkunde, Adolf Bastian, und dem Universalgelehrten Rudolf Virchow an. Als er 1897 auf einer Südseeinsel stirbt, erbt seine Schwester Adele Rautenstrauch die 3400 Objekte umfassende Sammlung.

Die Sammlung von Joest war
die Basis des Kölner Museums

1899 schenkte Adele Rautenstrauch der Stadt die außergewöhnliche Sammlung. Nach dem Tod ihres Mannes stiftete die Mäzenin zudem das Kapital zum Bau eines neuen Völkerkundemuseums am Ubierring, das 1906 eröffnet wurde. Das einzige ethnologische Museum in NRW befindet sich seit 2010 im neu gebauten Kulturquartier. Seine Sammlung gehört zu den zehn größten und bedeutendsten in Deutschland.

Doch wer war dieser Kölner Sammler wirklich, was motivierte den Fabrikantensohn bei seinen zahlreichen Reisen und welche Haltung vertrat er dabei. Um dies näher zu ergründen, hat sich die Autorin und Kulturjournalistin Anne Haeming in ihrem Buch „Der gesammelte Joest“ auf eine umfangreiche Spurensuche begeben. Dabei fällt ihr Blick auf einzelne Objekte aus dem Leben von Wilhelm Joest, aus denen eine spannende Collage entsteht, die Einblicke in die Welt des Ethnologen und der gesamten deutschen Wissenschaftselite des 19. Jahrhunderts gibt.

Es sind Objekte, die Joest sorgfältig in seiner Berliner Wohnung und später in seiner Villa im Tiergarten-Viertel präsentiert. Sie erzählen sein Leben und stehen dafür, wieso er wegwollte, in die Ferne. Und sie zeigen, warum er immer wieder nach Berlin zurückgekehrt ist.

Im Buch geht es auch darum, wie die Objekte bei den „Einsammel-Missionen“ ihren Weg nach Europa gefunden haben und wie diese dort ausgewertet und präsentiert wurden. Viel erfahren kann man dazu aus Joest Tagebüchern, seinem privaten Archivbuch und seinen diversen Publikationen, in denen der Kölner über seinen Alltag, das Unterwegssein und über seine Haltung schreibt.

Joest erweist sich als ein Mann, der stets auf seinen Status als Wissenschaftler blickte und der gierig war auf Anerkennung. Angetrieben hat ihn anfänglich „die Sehnsucht nach Woanders“ mit großen Vorbildern wie James Cook oder Charles Darwin. Joest wird als ein imposanter Mann mit roten Haaren und einem mächtigen Vollbart beschrieben, der gerne und viel aß und trank, und der in jeder Stadt schnell die „Hurenhäuser“ kannte. Er war ausdauernd, neugierig und etwas ordinär zugleich. Und er verfasst zahlreiche Bestseller seiner Zeit.

Forschung als Mittel
der preußischen Politik

Gleichzeitig bedeutet das Kennenlernen von Joest auch, zu erfahren, wie die preußische Politik tickte, wie eng ihre imperiale Idee und Macht mit der Forschungsgemeinschaft und den ethnologischen Museen jener Zeit verflochten war. Und Joest war als Solitär mittendrin, sammelte, erbeutete und präsentierte seine Objekte als Ethnologe und Autor stolz der Öffentlichkeit.

Das Buch ist flexibel wie eine Sammlung entworfen und verzichtet daher auch auf eine feste Chronologie. Es ist Kapitel für Kapitel aus einzelnen Objekten zusammengesetzt. „Sie spiegeln Wilhelm Joest, er spiegelt sich in ihnen, sie spiegeln sein Wollen, seine Sehnsüchte, sein Handeln komplex, widersprüchlich.“

Zu den Objekten gehören die geflochtenen Kisten aus Sulawesi, in die Joest seine Beute packte und nach Europa schickte, genauso wie die Fotografie eines Maluka-Mädchens mit einem Perlengürtel oder die Loango-Figur, die Joest seinem Mentor Bastian zu dessen 70. Geburtstag schenkt.

Dabei wird die fremde Welt immer aus der „überlegenen“, europäischen Sicht geschildert, die Menschen in „Natur- und Kulturvölker“ einteilt und die damit offen rassistische, kolonialistische und imperiale Positionen vertritt. Die fremde Welt wird „besucht“ und akribisch erfasst, Objekte werden erbeutet, gesammelt und ausgewertet. Dazu benutzt Joest auch seine teure Kameraausrüstung, mit deren Hilfe er seine Entdeckungen in Europa präsentieren kann. Selbst sein eigener Körper wird bei ihm zum Forschungsobjekt.

So entsteht das Bild eines Mannes, der seine Jugendträume, auch dank des Vermögens seiner Familie, verwirklicht und der doch immer mehr sein möchte als ein bloßer Weltenbummler und Tourist. Als Ethnologe verschafft Wilhelm Joest sich mit seiner Beute Anerkennung und kommt mit den höchsten Kreisen in Berührung. Sein schwieriges Erbe wird zur Basis eines einzigartigen Kölner Museums.

Anne Haeming: Der gesammelte Joest - Biografie eines Ethnologen, Verlag Matthes & Seitz, 304 Seiten, 25 Euro