Corona-Krise „Ich erlebe Köln aktuell zwischen Abstand halten und Lebenslust“

Wie erleben Sie gerade Köln?

Henriette Reker ist die Oberbürgermeisterin Kölns. Bislang ist ihre Stadt gut durch die Corona-Krise gekommen.

Foto: dpa/Marius Becker

Henriette Reker: Wenn ich jetzt aus dem Fenster meines Amtszimmers auf den Alter Markt schaue, sehe ich dort viele Menschen sitzen. Sie halten Abstand und die Tische stehen auseinander. Dass Menschen jetzt bei dem guten Wetter rausgehen möchten, ist nachvollziehbar. Insofern erlebe ich Köln aktuell zwischen Abstand halten und Lebenslust.

Was sind jetzt für Sie als Oberbürgermeisterin die größten Herausforderungen in der Krise?

Reker: Es geht darum Entscheidungen zu treffen, die für andere Menschen in der Stadt schwere Folgen haben können. Es geht zum Beispiel um Gastronomiebetriebe, die existieren müssen, und um Geschäfte, die funktionieren sollen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass man Gesundheit und Wirtschaft zusammendenken muss und dass diese Bereiche keinen Widerspruch zueinander bilden. Wir müssen jetzt den Spagat zwischen zurück zum guten Leben und Abstand- und Hygieneregeln, die uns noch lange begleiten werden, leisten.

Wie fällt bislang die Bilanz für Köln in der Krise aus?

Reker: Wir sind gut durch die Krise gekommen, das zeigen auch die niedrigen Zahlen der aktuell infizierten Menschen in Köln. Das liegt daran, dass wir sehr frühzeitig bestimmte Maßnahmen umgesetzt haben. Das gilt für die Schließung gastronomischer Betriebe, für die systematische Testung von Mitarbeitern in Pflegeheimen oder auch für die frühe Absage von Großveranstaltungen wie der Eisenwarenmesse oder der Lit.Cologne. Das hat uns sehr geschmerzt, aber es hat uns in eine Situation versetzt, die man so in einer Millionenstadt nicht erwartet hätte.

Wie haben sich die Menschen in Köln verhalten?

Reker: Die Kölschen brauchen bei Maßnahmen wie dem Kontaktverbot ein bisschen, bis sie diese Regelungen auch verinnerlichen und umsetzen. Wir haben attraktive Plätze, die gerne zum Verweilen genutzt werden. Das darf aber jetzt keine Versammlungsqualität bekommen, wie es zuletzt am Rheinboulevard oder auf dem Brüsseler Platz der Fall war. Wir haben lange davon abgesehen, Bereiche zu sperren, gerade weil das Leben auf den Plätzen auch zur Identität der Stadt gehört. Zuletzt mussten wir handeln, was uns sehr schwergefallen ist, aber wir dürfen hier kein Risiko eingehen. Wir haben es die gesamte Zeit geschafft, die gesundheitliche Versorgung in Köln zu sichern. Das dürfen wir jetzt nicht verspielen.

Auch bei Demonstrationen gegen die Corona-Regeln gab es problematische Situationen.

Reker: Die Meinungsfreiheit gehört zur Demokratie und Demonstrationen bzw. Versammlungen müssen möglich sein. Das, was ich aber vor drei Wochen selbst erlebt haben, weil ich durch Zufall in die Demonstratration hinein geraten bin, war so nicht hinnehmbar. Da wurden Menschen die Masken vom Gesicht gezogen und sie wurden angehustet. Außerdem haben sich die Demonstranten nicht an die Abstandsregeln gehalten und keine Masken getragen. Da hört die Nachvollziehbarkeit bei mir auf. Wir können keine Situation dulden, bei der die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet wird. Jeder muss sich jetzt an die Vorgaben halten.

Wie sieht die finanzielle Situation Kölns in der Krise aus?

Reker: Ich wollte den Haushaltsausgleich für das Jahr 2021. Im vergangenen Jahr waren wir davon bei einem Fünf-Milliarden-Haushalt noch 30 Millionen Euro entfernt. Jetzt ging es aber darum, Strukturen in der Stadt zu stabilisieren und diese am Leben zu halten. Die zuständige Ministerin hat uns aber erlaubt, die Corona-Kosten auf einem Sonderkonto zu führen und das für 50 Jahre. Wir müssen jetzt Menschen, Unternehmen und Institutionen unterstützen, wo das nur geht.

Welche Folgen hat die Krise für die Kultur?

Reker: Kultur ist die Seele der Stadt und Köln ist eine Kulturstadt. Kultur stiftet für Köln Identität. Es ist wichtig, ihre Vielfalt und die gute Mischung zwischen institutioneller und freier Szene, die sich gegenseitig befruchten, zu erhalten. Entsprechend wurden die Förderungsfonds des Landes für die freie Szene erhöht. Es geht hier um eine in die Zukunft gerichtete Förderung. Wir wollen so gut wie möglich, die Folgen der Krise für die Kultur so auffangen, auch wenn das nicht überall möglich sein wird.

Ein Thema sind aktuell auch Großveranstaltungen zum Beispiel in der Arena.

Reker: Aktuell sind nur Veranstaltungen von bis zu 100 Personen in Ausnahmefällen möglich. Alles andere ist bis Ende August untersagt. Das wird sich lockern, wenn es die entsprechenden Hygiene- und Abstandsregeln dafür gibt. Das bedeutet dann aber zum Beispiel in der Philharmonie, dass nur 400 von 1200 Plätzen besetzt werden können. Es ist wichtig für die Menschen in der Stadt, dass es bald auch wieder größere Veranstaltungen geben kann.

Wo sehen Sie die Grenzen der Lockerungen?

Reker: Schutzmasken zu tragen, ist eine gute Sache und je mehr Menschen das tun, umso mehr macht es Sinn. Masken sind auch ein äußeres Zeichen, dass Corona noch nicht vorbei ist. Auch die Abstandsregeln haben sich bewährt, wie die Zahlen zeigen. Was definitiv nicht möglich sein wird, ist, dass sich Menschen bei Großveranstaltungen in den Armen liegen, weil es einen gemeinsamen Anlass zur Freude gibt. Wir haben noch keine Herdenimmunität und einen Impfstoff gibt es auch noch nicht. Es ist klar, dass wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten dürfen. Da liegen die Grenzen möglicher Lockerungen.

Wie sieht es beim Karneval aus?

Reker: Dieses Jahr haben wir beim Karneval einfach großes Glück gehabt. Was die kommende Session angeht, müssen wir mit Entscheidungen abwarten, bis die Termine entsprechend nahe sind. Der Elfte im Elften ist ein Datum, das man nicht einfach abschaffen kann. Das gilt auch für den Karneval an sich. Ich weiß, dass die Gesellschaften und das Festkomitee in der kommenden Session viel Kreativität zeigen werden. Ich gehe davon aus, dass wir ein Dreigestirn bekommen werden. Und ganz ohne Karneval kann ich mir Köln nicht vorstellen.

Wie steht es mit Kindern und Jugendlichen in der Krise?

Reker: Wir müssen ihre Belange ernst nehmen. Ich war gerade bei einer Kita zu Besuch. Dort werden zunächst die Vorschulkinder zurückkommen, später können alle anderen Kinder folgen. Die Leitung der Kita hat zu mir gesagt, dass alles bislang sehr gut funktioniert hat. Es sei wichtig gewesen, auch in der Krise den Kontakt weiter zu halten. Kinder haben eine feine Antenne und bekommen mit wie angespannt und besorgt ihre Eltern sind. Gerade da ist eine zusätzliche Bezugsperson wie die Kindergärtnerin wichtig.

Wie blicken Sie in den Sommer in diesem Jahr?

Reker: Es wird ein schöner und hoffentlich ein etwas feuchterer Sommer werden. Die Kölner haben verstanden, dass man die schönen Tage genießen darf, wenn man den gewissen Abstand einhält. Deswegen machen wir auch Platz in der Stadt. Das gilt für enge Straßen wie die Ehrenstraße, wo wir die Parkplätze aufheben, um neuen Stadtraum zu schaffen. Allerdings können wir nicht die ganze Stadt jetzt coronabedingt umbauen.

Was macht Ihnen Sorgen und was macht Ihnen Hoffnung?

Reker: Sorgen machen mir die gastronomischen Großbetriebe, wenn ich erlebe, wie wenige Tische dort besetzt sind. Die müssen einen großen Apparat am Laufen halten und auch bezahlen. Sorgen machen mir auch Bereiche wie die Tourismusbranche, die jetzt unter ganz anderen Bedingungen starten müssen, als dies vor der Krise der Fall war. Hoffnung macht mir, was mir meine Eltern als junger Menschen mit auf den Weg gegeben haben. Jede Generation wird mit ihren Herausforderungen fertig werden und das heutige Köln ist das, was aus der im Krieg zerstörten Stadt wieder aufgebaut wurde. Ich setze da auf neue Ideen und Menschen, die anderen wieder Mut machen.