Abi-Randale Streich, Irrsinn, "Krieg": Abi-Fehde treibt Polizei und Pädagogen um
Mal dem Direktor Handschellen anlegen, mal Sand in der Pausenhalle verstreuen - zum Abitur gehört in Deutschland traditionell auch etwas anarchischer Quatsch. In Köln ist aus Folklore nun Gewalt geworden. Offizielle zürnen, Psychologen raten zu etwas Zurückhaltung.
Köln. Es klingt wie eine Kapitulation, die in ihrer Tonlage auch aus einem Geschichtslehrbuch stammen könnte. Sie bezieht sich allerdings nicht auf verfeindeten Herrschaftshäuser, kriegführende Armeen oder rivalisierende Clans - sondern auf Abiturienten. „Wir, die 12. Klasse des Humboldt Gymnasiums, beenden hiermit den „Abikrieg“!“ steht auf Facebook, der Eintrag ist auf den frühen Dienstagmorgen datiert. Und ein paar Sätze weiter: „Ihr habt applaudiert, als Leute von uns blutend auf dem Boden lagen.“
Zu den drastischen Worten liefert die Polizei wenig später ihre Schilderung. Zum wiederholten Male soll in Köln ein Abiturstreich komplett eskaliert sein. Die Polizei spricht von Kopfverletzungen und rund 200 Schülern, die am Kölner Humboldt-Gymnasium Randale gemacht haben sollen.
Dass bei Abiturfeierlichkeiten mal über die Stränge geschlagen wird, hat in Deutschland eine gewisse Tradition. Fast jeder Ehemalige kann von mehr oder minder originellen Streichen berichten, die man sich in den letzten Tagen des Schülerdaseins ausdachte. Die Klassenzimmer durchwehte dann ein Hauch von Revolte. Oft blieb es allerdings in den dann doch recht geordneten Bahnen der Gymnasien, die sich gern als Hort der Bürgerlichkeit betrachten.
Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die zumindest in Köln etablierte neue Form der Abi-Folklore nun viele aufschreckt. Seit einigen Jahren macht bereits das Wort „Abi-Krieg“ die Runde. Gymnasien rivalisieren untereinander, vermeintlich spielerisch. In den sozialen Netzwerken wird dazu auf dicke Hose gemacht. In Videos wird provoziert, Schulen werden angepinkelt oder Banner mit Schmähparolen gehisst.
Von derartigen Kabbeleien erzählen auch ein Vater und eine Mutter von angehenden Abiturienten des Humboldt-Gymnasiums der Deutschen Presse-Agentur. Aber irgendwann sei es wohl ausgeartet. Was ihnen ihre Kinder vom jüngsten Vorfall erzählt haben, deckt sich dabei. Die Humboldt-Schüler hätten sich demnach eigentlich größtenteils aus dem Streit raushalten wollen, abgesehen von harmlosen Wasserpistolen und -bomben, um die Schule zumindest zu „verteidigen“. Für die Schüler sind es die letzten Schultage überhaupt vor den Abi-Prüfungen.
Schüler anderer Schulen hätten sich aber nicht an diese Art Ehrenkodex gehalten. Es seien Eier, Stöcke und auch gefüllte Wasserflaschen geflogen. „Meine Tochter ist verzweifelt“, sagt die Mutter einer angehenden Abiturientin. Sie spricht von „Abiirrsinn“.
Peter Silbernagel, Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Philologen-Verbandes, findet noch deftigere Worte. „Ich finde es für die Schulen blamabel, ich finde es für die Schüler aber gleichermaßen entwürdigend“, sagt er. Da sei seit einiger Zeit eine Eigendynamik erreicht worden, mit denen die Schüler anscheinend gar nicht mehr umgehen könnten. Silbernagel schlägt vor, dass sich Pädagogen, Eltern und Schüler zukünftig zusammensetzen, um solche Vorfälle zu verhindern - und das deutlich vor dem Abitur. Er sagt: „Jungen Menschen, die morgen zur Leistungselite des Landes gehören, müssen heute doch auch schon wissen, wo ihre Grenzen sind.“
Der Rechtspsychologe Niels Habermann, der sich als Gutachter mit Jugendlichen beschäftigt, warnt allerdings davor, eine Zeitenwende bei der Qualität von Abistreichen auszurufen. „Wir müssen es erstmal als etwas Natürliches ansehen, dass junge Menschen einen Streit auf vielleicht auch aggressiv konnotierte, grenzwertige Weise miteinander austragen“, sagt er. Das sei grundsätzlich kein neues Muster. Gleichwohl dürfe man die Vorfälle nicht verharmlosen.
Und in jugendlichen Gruppen spiele sich oft eine besondere Form von Eigendynamik ab. „Eine Gruppe wird auch mal als Gruppe - ich sage es mal so salopp - etwas dümmer als die Summe der Teile.“ (dpa)