Interview „Wir sollten auf die Jugend hören“

Die Kölner Schauspielerin Camilla Renschke bekommt den Deutschen Hörbuchpreis als beste Interpretin für ihre Lesung von Irmgard Keuns Roman „Gilgi – eine von uns“.

Camilla Renschke ist beim Deutschen Hörbuchpreis von der Jury als beste Interpretin ausgezeichnet worden.

Foto: step/Eppinger

Nutzen Sie selbst auch Hörbücher?

Camilla Renschke: Leider eher selten. Das liegt auch daran, dass ich mich da voll konzentrieren möchte. Hörbücher im Auto oder Zug zu hören, funktioniert bei mir nicht. Aber ich lese sehr gerne.

Welche Herausforderung ist für Sie als Schauspielerin ein Hörbuch zu machen?

Renschke: Hörbücher sind Kopfkino. Mein Anspruch ist daher, diese Aufgabe besonders gutzumachen. Alles, was ich sage, sehe ich und fühle ich auch in diesem Moment. Nur so ermöglicht man es dem Hörer, dass er das auch so erleben kann.

Was bedeutet Ihnen der Roman „Gilgi – eine von uns“, mit dem Sie jetzt zur besten Hörbuchinterpretin gewählt worden sind?

Renschke: Ich habe mich sehr darüber gefreut, als die Anfrage kam. Als Kölnerin ein Buch von Irmgard Keun lesen zu dürfen, ist für mich eine große Ehre. Obwohl die Handlung in den 1920er Jahren spielt und das Buch 1931 veröffentlicht wurde, ist das Ganze unglaublich authentisch und nah. Die Sprache ist modern, ja fast zeitlos. Die Welt der Gefühle und Gedanken funktioniert heute wie damals. Als wir mit dem Buch komplett fertig waren, ist mir der Abschied vom Buch und seiner Protagonistin richtig schwergefallen. Gilgi war mir sehr ans Herz gewachsen.

Was macht Gilgi als Frau aus?

Renschke: Sie ist eine sehr junge Frau, der zum Beginn der Geschichte Egoismus vorgeworfen wird. Sie selbst findet ihr Handeln aber eher als zielstrebig. Sie denkt, dass sie mit 21 die Welt verstanden hat. Das ist ein Phänomen, dass wohl für alle Menschen mit Anfang 20 zutrifft. Im Laufe der Geschichte lernt sie dazu. Insgesamt ist Gilgi eine sehr moderne und emanzipierte Frau.

Hätte Sie selbst gerne in den 1920ern gelebt?

Renschke: Was den ganzen Stil der 1920er und die Musik angeht, war diese Zeit schon sehr reizvoll. Aber wir wissen, was danach an schrecklichen Dingen passiert. Und hinter der bunten Glitzerwelt gab es damals eine unfassbare Armut und eine große Unzufriedenheit bei den Menschen, wegen der politischen und gesellschaftlichen Unsicherheit. Daher würde ich eher ungern in dieser Zeit gelebt haben.

Was macht den alten Stoff auch heute noch reizvoll?

Renschke: Gilgi hat nicht alles, aber schon sehr viel in ihrer Zeit verstanden. Dabei bringt sie uns die Wünsche, Sorgen und Vorstellungen dieser Zeit sehr nahe. Wir sollten daraus die Lehre ziehen, dass man auf die Jugend hören sollte. Die wissen, wovon sie reden und was sie sich von der Zukunft erhoffen, das darf man auch heute nicht unterschätzen. Schade ist, dass eine Bewegung wie „Fridays for Future“ gerne ins Lächerliche gezogen wird. Man sollte die Jugend in ihrem Denken und Handeln aber ernstnehmen und unterstützen.

Was bedeutet der Deutsche Hörbuchpreis für Sie?

Renschke: Es ist der erste Preis, den ich überhaupt bekomme. Entsprechend groß ist die Freude darüber.

Sie sind Kölnerin. Was mögen Sie an Ihrer Stadt?

Renschke: Ich bin in Köln groß geworden und die Stadt bedeutet mir sehr viel. Ich mag die Mentalität der Kölner – ihre offene, freundliche Art.

Gibt es einen Lieblingsplatz in Köln?

Renschke: Ich wohne zwar in Ehrenfeld, bin aber durch die Arbeit beim WDR auch oft im Zentrum. Jedes Mal, wenn ich auf dem Weg zum Funkhaus am Dom vorbeikomme, berührt mich das sehr. Das ist für mich ein ganz besonderer Ort.