Michas Klasse: Jasmin und die Frage nach der braunen Hautfarbe
Ihre Eltern sind Tamilen und haben Sri Lanka inmitten des 26 Jahre währenden Bürgerkriegs verlassen.
Burscheid. Sri Lanka, das ist für Jasmin ganz weit weg. Im Begrüßungskreis der Klasse 3c der Montanusschule sagt sie zwar „Guten Morgen“ auf Tamilisch. Aber das kann sie erst, seit ihre Mutter darauf achtet, nicht nur Deutsch mit ihr zu reden. Ansonsten interessiert die Achtjährige an den Bewohnern des Inselstaats im Indischen Ozean vor allem eines: „Sind die alle braun?“
Braun, das ist Jasmin auch, obwohl sie stolz darauf ist, eine etwas hellere Haut zu haben als ihre Eltern und Geschwister. Und diese braune Hautfarbe wird wohl noch lange dafür sorgen, dass ihre Auskunft, Deutsche und in Deutschland geboren zu sein, nicht möglich sein wird ohne ein zumindest leichtes Erstaunen bei ihrem Gegenüber.
Inzwischen lebt Jasmin mit ihren Eltern und den beiden Geschwistern in einem neuen Einfamilienhaus. Für ihre Mutter Thevaki Selvaratnam (35) war das immer ein Traum. „Ich komme selbst aus einem Familienhaus und in unserer früheren Wohnung habe ich mich immer gefangen gefühlt.“ Für die Erfüllung dieses Traum haben sie und ihr Mann Pavan Vamadevan (39) hart gearbeitet. Denn als die beiden Tamilen unabhängig voneinander im jugendlichen Alter nach Deutschland kamen, hatten sie keine Ausbildung und Thevaki Selvaratnams Familie zudem wegen der langen Fluchtgeschichte auch noch Schulden von 40 000 Euro.
Michas Klasse
Es ist die zweite Hälfte der 1990er Jahre, der Bürgerkrieg zwischen den tamilischen Rebellen und den singhalesischen Regierungstruppen erreicht 13 Jahre nach seinem Ausbruch durch eine Offensive des Militärs im Norden einen neuen Höhepunkt der Gewalt.
Die 17-jährige Thevaki wird zusammen mit ihrer Mutter mitten in der Nacht von den tamilischen Rebellen zum Verlassen des Hauses gezwungen, ohne irgendetwas packen zu können. Drei Tage später darf die Mutter noch einmal zurück ins Haus. „Da war schon alles ausgeplündert.“
Drei Monate lebt die Familie mal hier, mal dort, haust mit 16 Menschen in einer kleinen Hütte, die eigentlich als Tempel dient. Die nächste Trinkwasserstelle ist Kilometer entfernt. In der Zeit fällt der Entschluss, über den Weg in die Hauptstadt die Flucht aus dem Land zu versuchen.
Aber die Rebellen lassen alle 14- bis 24-Jährigen nicht aus ihrem Kontrollgebiet ausreisen. Es gibt Verhandlungen über Geld, „aber wir hatten nichts“. Durch die Hartnäckigkeit der Mutter erhält Thevaki endlich doch ihren Pass — und muss vor der Hauptstadt erneut ausharren. Die Armee lässt aus Angst vor eingeschleusten Rebellen täglich nur 25 junge Menschen passieren.
17 Jahre liegt das jetzt zurück. Seither hat Thevaki Selvaratnam in Deutschland einen Schulabschluss gemacht, im Landhaus Lorenzet ihre Ausbildung zur Restaurantfachfrau absolviert und arbeitet derzeit im „Fachwerk“ in Witzhelden und in den „Bergischen Stuben“. Auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat sie inzwischen angenommen — anders als ihr Mann. Er vermisst die alte Heimat stärker als sie.
Dabei waren die ersten Jahre in der Fremde auch für sie hart, „als ich die Sprache nicht konnte. Hier muss man funktionieren wie eine Maschine, weil keiner Zeit hat für die anderen.“ Die Freunde fehlten, das Land, das Haus, die Verwandten. „In dieser Zeit habe ich mich sehr verloren gefühlt.“ Mittlerweile kommt die Sehnsucht nur noch ab und zu.
Ihre Kinder sind christlich getauft, Thevaki Selvaratnam selbst ist Hindu geblieben. Auch das ist nur durch den Blick zurück erklärbar. Als Waisenkind musste ihr Mann einst die Taufe akzeptieren, ehe das Heim ihn aufnahm. Dort hat man ihn dann aber gleichzeitig vor der größten Armut bewahrt. Der aufgezwungenen Religion hat er daher auch als Erwachsener die Treue gehalten.
Mehr als die Hälfte ihres Lebens sind beide jetzt schon in Deutschland zu Hause. Seit 2009 ist der Bürgerkrieg beendet. Gedanken an Rückkehr? Beim ihm häufiger, bei ihr nicht. Und für Jasmin, ihre große Schwester Julia und ihren kleinen Bruder Jaden wäre es ein fremdes Land. Sie kennen nur das tamilische Fernsehen.