Michas Klasse: Tiago und das Zimmer seines Vaters
Der Neunjährige lebt in der ehemaligen Werkswohnung seiner Großeltern — und ist Kind einer deutsch-portugiesischen Ehe.
Burscheid. Nur zwei Jahre in seinem Leben hatte Pedro Vargues dos Santos ein anderes Zuhause als das, in dem der 39-Jährige heute wohnt. 1997 hat er die ehemalige Goetze-Werkswohnung In der Dellen verlassen, um mit seiner Freundin und heutigen Frau Diana zusammenzuziehen. Zwei Jahre später sind seine Eltern nach 30 Jahren in Deutschland wieder in die Hafenstadt Faro an der Algarve zurückgekehrt - und Pedro in das Hochhaus seiner Kindheit. In seinem früheren Kinderzimmer wächst heute sein Sohn Tiago auf. Und die elterliche Mietwohnung ist inzwischen Eigentum der Familie.
Einer deutsch-portugiesischen Familie. Denn Pedro Santos’ Frau, wie er in Leverkusen geboren, ist Deutsche, während er als Einziger in dem vierköpfigen Haushalt einen portugiesischen Pass hat. Vorbehalte gegen die schon 18 Jahre währende Beziehung habe es in ihrer Familie aber nie gegeben, sagt sie.
Im Gegenteil: Ihr Vater Jürgen Dellweg war eine Art Anstoßgeber für die Verbindung. Der Streckenkontrolleur der Bahn, der mit seiner Familie bis 1997 letzter Bewohner der Dienstwohnung im Hilgener Bahnhof war, hatte seiner Tochter viel zu viel Öl in ihren roten Eskort gekippt. In seiner Not erinnerte er sich an ihren Schulfreund aus Hauptschulzeiten, der danach eine Lehre zum Kfz-Mechaniker absolviert hatte: „Ruf doch mal den Pedro an, der kennt sich aus.“
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Elf Jahre sind die beiden jetzt verheiratet. Die Hochzeit erfolgte nach deutschen Gepflogenheiten. Die portugiesische Variante erschien ihnen zu anstrengend: „Da wird drei Tage gefeiert und unheimlich viel gegessen“, sagt Pedro Santos. Fast schon erstaunlich, dass er darauf verzichten konnte — denn auch wenn er nie in Portugal gelebt hat, stellt er bei der Frage nach seiner Heimat beide Länder gleichrangig nebeneinander. Diese enge emotionale Bindung an das Land der Eltern ist für viele seiner Generation prägend.
In der Ehe ist das durchaus ein Spannungsfeld. „Jedes Jahr die gleichen Diskussionen“, sagt er stoisch mit Blick auf die jährliche Urlaubsentscheidung. Für ihn ist klar: An Portugal führt kein Weg vorbei. Diana Santos möchte auch mal etwas anderes sehen. „Das ist immer ein großer Streitfall. Aber in diesem Jahr habe ich schon nicht mehr so viel gemeckert“, sagt die Zahnarzthelferin und lacht. Immerhin war da ja noch das Wochenende im Legoland, Kommunionsgeschenk für Tiago.
Auch sonst ist die Mentalitätsmischung nicht ganz ohne. „Komm ich heut nicht, komm ich morgen“, beschreibt sie die portugiesische Neigung ihres Mannes zur Gemütlichkeit. „Das kann mich manchmal auf die Palme bringen, wenn sie schon wieder saugt“, beschreibt er ihre deutsche Ordnungsliebe. Was nichts daran ändert, dass die beiden ihre besondere Form europäischer Annäherung „nur weiterempfehlen“ können.
Als seine Eltern wieder nach Portugal zurückkehrten, war Einzelkind Pedro 24 Jahre alt. Er hat das als schwere Entscheidung in Erinnerung. „Aber sie sind in den 30 Jahren hier nie wirklich angekommen“, sagt er. „Sie haben hier gelebt und gearbeitet, aber immer mit Blick auf Portugal. In einem Land zu leben, in dem man die Sprache nicht versteht, ist auch schwierig.“
Tiago dagegen kann schon nur noch ein paar Brocken Portugiesisch. „Ich habe es verpasst, den Kindern Portugiesisch beizubringen. Das liegt aber auch daran, dass ich selbst besser Deutsch kann“, sagt sein Vater.
Pedro Santos arbeitet inzwischen für eine IT-Firma, installiert Software bei den Kunden und pflegt als nebenberuflicher Webdesigner auch die Internetseite des BV Burscheid.
Seine Fotoleidenschaft hat er über Jahre vor allem im Portugalurlaub ausgelebt, auch so ein Streitpunkt in der Ehe. Inzwischen hat er einen Platz für all die Fotos gefunden — auf einer eigenen Internetseite. Sie ist der Zufluchtsort seiner Sehnsucht: „Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich die Fotos angucke.“ Manchmal versucht Petro Santos auch den Geschmack Portugals nach Burscheid zu holen und kocht. „In den meisten Fällen geht das schief.“ Das ist dann wieder ein Grund, ratsuchend in der fernen Heimat anzurufen, in der er nie gelebt hat.
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