Michas Klasse: Are und der mühsame Kampf gegen den Tumor

Seine Einschulung hat er zwei Jahre in Folge gefeiert. Dazwischen lagen Monate des Bangens und der Rehabilitation.

Foto: Doro Siewert

Burscheid. Are und seine Drillingsschwestern Mina und Nike sind im Abstand von jeweils einer Minute geboren. Trotzdem trennt sie heute ein Schuljahr. Während Mina, die Jüngste der drei, die Klasse 4 a, und Nike, die Älteste, die Klasse 4c der Montanusschule besuchen, gehört Are, der Mittlere, der 3c an. Zwar ist er 2011 mit seinen Schwestern zum ersten Mal eingeschult worden. Aber schon wenige Monate später ging es für ihn um Wichtigeres als das ABC. Es ging um sein Leben.

Schon früh muss Are eine Brille tragen. Er schielt. Häufiger klagt er über Kopfschmerzen, die Eltern schieben das auf die Augen. Dann, im Spätsommer kurz nach der Einschulung, bekommt Are beim Zoobesuch einen Fieberschub und schreit vor Kopfschmerzen, ehe er erschöpft einschläft. Mit Verdacht auf Meningitis wird er ins Krankenhaus eingeliefert.

Aber die entsprechenden Symptome fehlen. Er wird wieder nach Hause geschickt. Ares Kinderarzt drängt auf ein MRT. Schließlich, Ende Oktober 2011, der beängstigende Satz: „Da ist was, das muss weg.“ Was weg muss, ist ein Tumor, gutartig zwar, aber mittlerweile auf einen Durchmesser von 4,5 Zentimetern angewachsen und nah am Hirnstamm gelegen.

Bei der achtstündigen Operation läuft etwas nicht wie geplant, Are muss ins künstliche Koma versetzt werden. „Als wir ihn das erste Mal besuchen durften, lag er auf dem Bauch“, erzählt sein Vater Lutz Böhme. „Wir haben ihn umgedreht und da hatte er ganz starre Pupillen.“

Erst vier Wochen später darf Are nach Hause, dann folgt die Rehabilitation. Am Anfang sitzt er im Rollstuhl, später braucht er einen Rollator. Die Schäden an seinen Pupillen bleiben: Er kann nicht mehr nach oben und unten blicken und die Augen nicht scharf stellen. In der Konsequenz ist seine Brille jetzt so eingestellt, dass ein Auge für das Lesen und das andere für die Fernsicht genutzt werden kann.

Seine Eltern kämpfen für seine Rückkehr an die Montanusschule. Für Vater Lutz ist wichtig: „Wenn Are das erste Schuljahr wiederholen muss, dann soll auch noch mal seine Einschulung wiederholt werden und er von Anfang an mit dabei sein.“ Zwei Stunden am Tag wird Are ein Integrationshelfer an die Seite gestellt, zweimal in der Woche kommt ein Förderlehrer von der Düsseldorfer Karl-Tietenberg-Schule, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Sehen, nach Burscheid.

Heute, drei Jahre nach dem dramatischen Herbst 2011, sagt Are über seine Klasse: „Ich fühle mich wohl.“ Und über seinen Vater, Chemielaborant bei Bayer Crop Science in Monheim: „Ich bewundere seinen Job.“ Und über sich: „Ich bin in diesem Haushalt eher für die Witze zuständig.“

Eltern von Drillingen zu sein, ist anstrengend. Dazu die Sorgen um Are verkraften, geht an die Substanz. „Es ist schwierig, allen gerecht zu werden“, sagt seine Mutter Ulrike — auch wenn Mina und Nike wissen, dass Ares wöchentlicher Gang zur Ergotherapie und zur Krankengymnastik keine Spielstunde ist. „Man freut sich, dass man es so weit geschafft hat“, sagt Lutz Böhme. „Und was davon noch in den eigenen Knochen steckt, liegt auch viel an einem selbst.“ Über die Drillinge könnten sie sich jedenfalls nicht beschweren. „Das sind Luxusprobleme, über die man sich aufregt.“

Er selbst ist in der damaligen DDR geboren. Mit sechs Jahren durfte er zusammen mit der Mutter ausreisen, weil der Vater schon im Westen lebte — Familienzusammenführung in Leverkusen. Dort ist auch seine heutige Frau geboren. Seit 1998 wohnen die beiden in Burscheid. Gemeinsam haben sie bei Bayer gearbeitet, bis die Drillingsgeburt anstand. „Was da wirklich kommt, weiß man vorher nicht“, sagt Ulrike Böhme im Rückblick. „Ich war mir jedenfalls nicht bewusst, was das heißt.“

Sie erinnert sich aber an einen Traum in der Nacht, als Are im künstlichen Koma lag und den Ärzten die Skepsis anzumerken war. „Da habe ich geträumt, es wird alles gut.“