Michas Klasse: Simona und die Sehnsucht nach einem besseren Leben

Ihr Vater stammt aus Sizilien, ihre Mutter aus Polen. Beide haben das Glück gesucht und noch nicht gefunden.

Foto: Doro Siewert

Burscheid. Eine polnische Mutter, ein italienischer Vater. Wenn das Leben es gut meint, könnte das vielleicht eine schöne Ost-West-Geschichte werden. Aber das Leben hat es oft nicht gut gemeint mit Simonas Mutter. Vier vereinbarte Gesprächstermine lässt Barbara Marciszuk platzen. Der Gedanke, sich erinnern zu müssen, bereitet ihr Schmerzen. „Da ist nichts lustig.“ Beim fünften Anlauf öffnet die 36-Jährige dann doch die Tür zu ihrer Hochhauswohnung und erzählt. Es gibt viele Migrationsgeschichten ohne Happy End. Ihre wartet auch noch darauf.

Immer wieder werden Dokumente auf den Wohnzimmertisch gelegt — als fürchte sie, man könne ihr nicht glauben. Die deutschen Pässe für ihre Kinder Simona (8), Andreas (7) und Giuseppe (5). Und das Abschlusszeugnis ihres Politologie-Studiums im ostpolnischen Lublin, 150 Kilometer von der Ukraine entfernt. 2003 wurde es ausgestellt. Da war Barbara Marciszuk 25 Jahre alt.

Mit ihr hätten 140 Kommilitonen studiert. „Und wissen Sie, wie viele davon in Polen geblieben sind? Zwei.“ Auch Barbara Marciszuk sieht nach zwei Monaten Jobben in der Taxizentrale für sich keine Perspektive mehr in ihrer Heimat. Im September 2003 reist sie erstmals nach Deutschland — als Erdbeerpflückerin in Ramershoven bei Meckenheim. Anfang Oktober erleidet sie einen schweren Arbeitsunfall.

Einen Monat liegt sie in Bonn im Krankenhaus und begegnet dort Simonas Vater zum ersten Mal. Er hat seine Schulter gebrochen. Die Rehabilitation will sie in ihrer Heimat verbringen, aber der Arzt schickt sie nach Deutschland zurück. Schließlich sei der Unfall nicht in Polen passiert. Fünf Monate arbeitet sie daran, mit dem operierten rechten Bein wieder gehen zu können. Zwischendurch muss sie den Aufenthalt unterbrechen, um mit einem neuen Visum einreisen zu können. Denn Polen gehört noch nicht zur Europäischen Union.

Die junge Polin nimmt wieder Kontakt zu Giuseppe auf, dem Italiener aus dem Krankenhaus. Er betreibt eine Pizzeria in Bonn. Zum 1. Mai 2004, mit dem EU-Beitritt Polens, fängt sie dort als Tellerwäscherin an. „Beim Renovieren hat er mich gefragt, ob ich nicht ein polnisches Mädchen für ihn finden kann. Da habe ich gesagt: Und was ist mit mir?“ Seither sind die beiden ein Paar.

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MICHAS KLASSE

Der Sommer im Jahr darauf, Barbara ist gerade schwanger mit Simona und besucht die Familie von Giuseppe. Fremde Welten stoßen aufeinander. Zwar ist Giuseppe von seiner ersten Frau geschieden, aber die sizilianische Familienehre sieht das nicht vor. Die Neue wird kritisch beäugt. Dann verschwindet Giuseppe nach Deutschland. „Ich saß allein da bei der Familie, ohne Geld, ohne Sprachkenntnisse.“ Und sie begreift: Von wem sie ein Kind erwartet, darüber sollte sie besser schweigen.

Giuseppes Vater bringt sie bei einem Kumpel im Nachbardorf unter, als Putzfrau in einer Pizzeria. Bis zum Jahresende hält sie das aus und begegnet dabei altbekannten Verhaltensmustern: „Alle haben über die Polacken gelacht. In Deutschland reden sie schlecht über die Polen, in Italien auch.“

Anfang 2006 kehrt Barbara Marciszuk hochschwanger nach Deutschland zurück. Giuseppe hat eine Wohnung in Radevormwald gefunden. Im März wird Simona geboren, acht Monate später ist die Mutter wieder schwanger. Weder sie noch ihre Tochter sind angemeldet. Inzwischen lebt die Familie in Tente.

Als Andreas geboren wird, will die Hebamme die Versicherungskarte sehen. Die Mutter kann nur den Pass zeigen. Am nächsten Tag steht das Jugendamt vor der Tür. Erst danach wird die Vaterschaft für ihre Kinder eingetragen.

Die Familie landet in Burscheid. Giuseppe macht sich als Fliesenleger selbstständig, dann folgt die Arbeitslosigkeit. Im Herbst 2011 verlässt er die gemeinsame Wohnung; er müsse auf Montage. Giuseppe kehrt nicht zurück, die Beziehung ist beendet. Dafür kommt der Gerichtsvollzieher und setzt die Zwangsräumung durch.

Elf Jahre sind vergangen, seit die junge Politologin von Lublin aufgebrochen ist, um ein besseres Leben zu finden. Derzeit lebt sie vom Arbeitslosengeld II, das Jugendamt zahlt Unterhalt für die Kinder. Immer wieder taucht der Vater auf und sieht nach ihnen. „Wir sprechen normal, denn die Kinder haben keine Schuld.“

Zurück nach Polen? Für sie ausgeschlossen: „Da haben die Kinder keine Zukunft.“ Auch wenn in der Wohnung Polnisch und Deutsch im Wechsel gesprochen werden. Die drei Geschwister verstehen zudem leidlich Italienisch. „Und Simona bringt mir Deutsch bei.“

Das Leben sei nicht einfach, aber auch nicht so schwer wie in der ersten Zeit als Mutter. „Manchmal frage ich mich, wie ich diese acht Jahre geschafft habe.“ Ob sie es auch schafft, eines Tages wieder zu arbeiten? Der Weg dahin scheint noch weit. Im Augenblick ist erst einmal der angebotene Ein-Euro-Job die Herausforderung.