Stadt spricht beide Geschlechter an
Frauen haben kein Recht auf eigene Ansprache. Die Stadt nutzt trotzdem Formulierungen, die alle einbeziehen. Ein Professor plädiert für Pragmatismus.
Burscheid. Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Frauen haben kein Recht auf eine weibliche Ansprache in Formularen. Das oberste deutsche Zivilgericht wies am 13. März in Karlsruhe die Revision einer Sparkassen-Kundin aus dem Saarland zurück. Klägerin Marlies Krämer (80) sah in männlichen Formulierungen wie „Kunde“ oder „Kontoinhaber“ einen Verstoß gegen den im Grundgesetz garantierten Gleichheitsgrundsatz.
Das sieht der BGH nicht so: mit der verallgemeinernden Ansprache in männlicher Form werde sie nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Die Anrede „Kunde“ für Frauen sei weder ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht noch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, argumentierte das Gericht.
Nicht nur die Sparkasse Saarbrücken, gegen die Marlies Krämer ursprünglich geklagt hatte, benutzt Formulare auf denen die Kunden lediglich als Kontoinhaber beziehungsweise Kunde angesprochen werden. Auch die Kreissparkasse Köln setzt im Kundenverkehr überwiegend auf die vorgefertigten Formulare, auf denen lediglich von „Kunde“ oder „Kontoinhaber“ die Rede ist. Nach Möglichkeit versuchten die Mitarbeiter jedoch, ihre Kunden mit deren Namen anzusprechen, um damit das sogenannte generische Maskulinum zu vermeiden, so die Pressestelle des Instituts.
Die Fragestellung nach der Anrede von Männern und Frauen ist auch der Stadt Burscheid nicht neu. Der Bedarf an geschlechtsneutralen Formulierungen in der Bürokratie sei schon lange hoch. Die Stadt habe in dieser Hinsicht bereits reagiert, sagt die Sprecherin Renate Bergfelder-Weiss: in Broschüren und auf ihrer Internetseite wähle sie inzwischen geschlechtsspezifische Paarformen wie Schülerinnen und Schüler oder Burscheiderinnen und Burscheider.
Bedarf für weitere Anpassungen, beispielsweise in Form von Partizipformen wie Studierende, oder der Verwendung sogenannter Gender-Sternchen, die auch Queer-, Inter-und Transexuelle sichtbar machen sollen („Schüler*innen“), sehe sie allerdings zur Zeit nicht. Grundsätzlich sei die Verwaltung aber offen für weitere Änderungen in dieser Hinsicht. Bis jetzt hätten sie aber auch keine Rückmeldungen von Bürgern bekommen, die sich eine weitere Anpassung der Anrede wünschen. Bei Anschreiben versuchen die Mitarbeiter der Stadt, die Bürger möglichst persönlich und namentlich anzusprechen.
Für den Soziologen Professor Clemens Albrecht von der Universität Bonn ist das Urteil des Bundesgerichtshofs der Versuch, den sprachlichen Umgang mit Geschlechtsdifferenzen aus Alltagssprache und Gesetzgebung gegen die symbolischen Anerkennungsbedürfnisse sozialer Gruppen zu rechtfertigen. „Ein gesellschaftlicher Prozess, der hinter dieser Klage steht, ist der Kampf um symbolische Anerkennung von sozialen Gruppen. In der Praxis reichen sozialen Gruppen bestimmte Formen der symbolischen Anerkennung, auf andere verzichten sie. Wo genau die Grenze liegt, muss immer ausgehandelt werden, und manchmal, wie im vorliegenden Fall, vor Gericht“, so der Professor.
Das Landgericht Saarbrücken, das die Klage von Marlies Krämer zunächst abgelehnt hatte, argumentierte in seiner Entscheidung, schwierige Texte würden durch die Nennung beider Geschlechter noch komplizierter werden. Dem stimmt auch Professor Albrecht zu. Im Alltag sei die Verwendung des generischen Maskulinums gängig, und jeder denke sich Frauen dazu. „Wenn ein Gericht das nun anders sehen würde, gäbe es zunächst ziemlich viel Veränderungsbedarf an ziemlich vielen Gesetzen.“ Benutzerordnungen beispielsweise würden so nur noch für Männer gelten und müssten in Benutzerinnen- und Benutzerordnungen umbenannt werden.
Weiteren Bedarf bei der Anpassungen von Formularen in der Bürokratie oder von Kreditinstituten sehe er daher nicht: „Ich plädiere dafür, sich nicht auf solche Symbolkämpfe zu konzentrieren, die ändern nämlich nichts an der gesellschaftlichen Wirklichkeit, sondern auf reale Formen der Diskriminierung zu achten: Haben Frauen den gleichen Zugang zu Krediten und Finanzdienstleistungen? Migranten auch? Bisexuelle? Transsexuelle? Das ist wichtig. Ob sie dann so angeredet werden, wie sie es für richtig halten, um sich anerkannt zu fühlen, ist sekundär.“ Mit Material von dpa