Corona-Impfen „Booster“-Wunsch überrollt Hausärzte

DÜSSELDORF · Auffrischungsimpfung für alle ab 18? Davon sind niedergelassene Ärzte gar nicht begeistert.

Die Ständige Impfkommission empfiehlt das Boostern für alle ab 18 Jahren. In der Praxis sorgt das für Probleme.

Foto: SvenSimon/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Die niedergelassenen Ärzte, die in unserer Region rund 80 Prozent der Corona-Impfungen durchführen, sind ganz und gar nicht begeistert von den Signalen, dass nun auch alle Menschen ab 18 Jahren ihre Auffrischungsimpfungen bekommen sollen. Carsten König, Vize-Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, sagt: „Wenn sich kurzfristig politische Sichtweisen ändern, dann können die Praxen das nicht so schnell umsetzen.“ Bislang habe man die über 70-Jährigen, die chronisch Kranken und die Bewohner von Pflegeheimen „geboostert“ und das auch gut hinbekommen. Jetzt aber jedem Impfwilligen über 18 Jahren möglichst zeitnah die Auffrischungsimpfung anzubieten, das sei so nicht machbar. Es bleibe weiterhin eine ärztliche Ermessensentscheidung, zunächst die vulnerablen Gruppen dranzunehmen.

KV-Vorsitzender Frank Bergmann sieht das auch so: „Es geht der Reihe nach. Aus medizinischer Sicht sollten wir diejenigen zuerst impfen, deren Erst- und Zweitimpfung am längsten zurückliegt. Und da wir mit den Älteren und Vulnerablen angefangen haben, müssen wir die jetzt boostern.“  Bei jungen Menschen sei ja das Risiko ja ohnehin geringer.

Praxen sehen sich seit April im Ausnahmezustand

Derzeit sind 3657 niedergelassene Hausarztpraxen im Bereich Nordrhein im Corona-Impfeinsatz. Bei einer Pressekonferenz betonen die Ärztefunktionäre, dass sich die Praxen, was das gesamte Impfgeschehen rund um die Pandemie angeht, seit April im Ausnahmezustand befänden. Das politische Hin und Her der vergangenen Monate habe für die Praxen eine verlässliche Impforganisation so gut wie unmöglich gemacht.

Für die Wochen bis Weihnachten bremst Bergmann einen zu starken Optimismus:  Rund eine Million Booster-Impfungen seien voraussichtlich im Bereich der KV Nordrhein zu schaffen, in ganz NRW vielleicht zweieinhalb bis drei Millionen. Die Praxen könnten aber nicht bis Ende des Jahres halb Nordrhein-Westfalen durchimpfen. Bergmann: „Uns stehen sehr impfintensive Wochen bevor, die sich weit in das Frühjahr hineinziehen werden. Wir werden nicht alle, die sich jetzt auf den Weg machen, auf einmal bedienen können.“

Personal in den Praxen wird beschimpft, beleidigt, bedroht

Der KV-Chef schildert, was der Run auf die Auffrischungsimpfungen schon jetzt in den Arztpraxen auslöst. Es komme immer häufiger vor, dass die Medizinischen Fachangestellten in den Praxen beschimpft, aufs Übelste beleidigt oder sogar bedroht werden, wenn ihr Gegenüber keinen zeitnahen Termin bekomme. „Hier werden definitiv Grenzen überschritten, die nicht überschritten werden dürfen“, sagt Bergmann und erzählt von weinenden Fachangestellten und Ärzten am Telefon der KV. König, selbst auch niedergelassener Arzt, bestätigt: „Die Szenarien sind gruselig. Und dann haben wir auch zig Kollegen, die aktive Impfärzte sind, die bekommen auch noch von der anderen Seite, nämlich den Impfgegnern, Morddrohungen.“

Für Pflegekräfte habe es zu Beginn der Pandemie Applaus gegeben, sagt König, aber der  Einsatz der Arztpraxen und deren Personal werde nicht adäquat wertgeschätzt. Bergmann und König betonen, es sei richtig, dass sich die Gesundheitsminister der Länder beim Bund für eine Bonuszahlung für alle Medizinischen Fachangestellten einsetzen wollten. Man hoffe nun auf ein zeitnahes Aufgreifen und Umsetzen dieser Forderung.

Im Bereich Nordrhein verteilen sich in die in der vergangenen Woche von den Hausärzten verabreichten Corona-Impfungen so: Zwölf Prozent sind Erstimpfungen, 19 Prozent sind Zweitimpfungen und 69 Prozent sind Booster-Impfungen. Vor dem Hintergrund, dass die Nachfrage nach den Auffrischungsimpfungen weiter steigen dürfte und die Hausärzte das nach eigener Aussage selbst nicht in kürzerer Zeit bewältigen können – muss ihnen da nicht jemand helfend zur Seite springen?

Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts hat es schließlich dramatisch formuliert: „Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen.“ Wie steht Bergmann da zu der Idee, auch die Apotheker sollten zur Spritze greifen?

Davon hält der KV-Chef gar nichts. Impfen sei eine medizinische Maßnahme mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Apotheken hätten andere Aufgaben. Jeder solle sich im Rahmen seiner fachlichen Kompetenzen einbringen, nicht aber berufsfremde Leistungen erbringen. Das erinnert an die schon zu Beginn der Pandemie aufgekommene Diskussion, ob nicht auch Zahnärzte die Impfspritze setzen dürfen. Sie sind mit diesem Instrument schließlich bestens vertraut. Doch auch diese Idee wurde bislang nicht realisiert.

Zum Thema Auffrischungsimpfung und deren Notwendigkeit hebt Bergmann hervor, dass zum Eindämmen des pandemischen Infektionsgeschehens andere Dinge als Booster-Impfungen wichtig seien,  und da sei die Politik am Zug: Die 2G-Regelung im gesamten Freizeitbereich müsse kommen, genauso wie die 3G-Regelung für den Arbeitsplatz. Außerdem müssten sich alle wieder verstärkt an Abstände halten – auch die Maske sollte wieder konsequenter von jedem getragen werden, der in geschlossenen Räumen und Menschenmengen unterwegs sei.

Vor allem: diese Regelungen müssten auch kontrolliert werden. Und zwar nicht nur sporadisch. Auch dürfe nicht bei denjenigen lockergelassen werden, die noch nicht geimpft seien. Es gebe deutschlandweit einfach noch zu viele Menschen, die sich bisher nicht impfen lassen wollten. Bergmann: „Bei 80 bis 90 Prozent an schon Durchgeimpften wären wir nicht in der momentanen Situation mit den bisher höchsten Inzidenzwerten.“