„Electronic Vibrations“ Crashkurs über Geburt der elektronischen Musik
Düsseldorf · Eine Arte-Doku erklärt die Entstehung der Elektro-Musik aus dem Geist der Avantgarde. Die Wurzeln reichen auch nach Düsseldorf.
Schönste Szene: Ralf Hütter und Florian Schneider sitzen im Kling-Klang-Studio in Düsseldorf in ihrem Gerätepark. Sie sehen noch nicht zu 100 Prozent nach Kraftwerk aus, sondern auch ein bisschen so, wie man in den 1970er-Jahren halt aussah. Mehr Mensch als Maschine jedenfalls. Irgendwann blickt Hütter in die Kamera und sagt: „Wir können nicht so gut sprechen. Deshalb machen wir Musik.“
„Electronic Vibrations. Ein Sound verändert die Welt“ heißt die Doku, die soeben im Kino „Black Box“ Vorpremiere feierte und am 18. Februar bei Arte zu sehen sein wird. Regisseur Thomas von Steinaecker erzählt in einem 52-minütigen Crashkurs die Geburt der elektronischen Musik aus dem Geist der Avantgarde. Die Produktion gehört zum filmischen Begleitprogramm der „Electro“-Schau im Kunstpalast.
Das Genre wird als eine europäische Erfindung vorgestellt. Pierre Schaeffer half im Zweiten Weltkrieg in Paris der Résistance durch widerständige Programme bei einem Piratensender. Nach dem Krieg blieb er beim Rundfunk und experimentierte im Studio mit Schallplatten. Durch Tonmanipulation erfand er die „konkrete Musik“, die nur aus Geräuschen bestand. Seine „Étude Pathétique“ von 1948 steht hier als Urschrift eines neuen Sounds.
Schaeffer sei der erste DJ gewesen, sagte Jean-Michel Jarre, der früh in Kontakt mit der von Schaeffer gegründeten Groupe de Recherches Musicales kam und Ende der 70er die elektronische Musik zum Mainstream machte. Sein Album „Oxygène“ wurde zum Millionenerfolg. Schaeffer regte weitere Gleichgesinnte an. Die großartige Komponistin Eliane Radigue lebte in Paris nahe dem Flughafen. Nach einer Radiosendung von Schaeffer erkannte sie die Schönheit im Lärm startender Flugzeuge. Sie schloss sich Schaeffer an, machte den Arp-Synthesizer – noch ohne Tasten – zum Instrument ihrer Wahl und schuf Werke wie „Adnos“ und „Opus 17“.
Die Rolle, die Schaeffer in Frankreich spielte, kam Karlheinz Stockhausen in Deutschland zu. Im Studio für elektronische Musik in Köln versammelte er Geräte aus der Messtechnik. Mit Sinusgeneratoren und Tonbändern forschte er nach dem neuen Klang. Denn darum ging es all diesen Erfindern: das Neue und Unerhörte zu erreichen. Die erste Aufführung seines „Gesangs der Jünglinge“ aus dem Jahr 1956 führte zu tumultartigen Reaktionen. Jan St. Werner von Mouse On Mars, der im Film immer wieder gescheite Kommentare gibt, verweist auf die Kriegserfahrung dieser Generation von Musikern. Ihre Werke sollten nicht nach Volkslied klingen, sie vermieden gerade Rhythmen, auf denen man hätte marschieren können.
Der Mittelteil der Dokumentation spielt am Rhein und in Berlin. Kraftwerk bilden sozusagen die Rampe zum internationalen Siegeszug der elektronischen Musik. Ihr Stück „Autobahn“ wurde 1974 vor allem in Amerika begeistert aufgenommen. Auch die Synthesizer-Symphonie „Phaedra“ , die Tangerine Dream im selben Jahr veröffentlichten, begeisterte Engländer und Amerikaner. Als Afrika Bambaataa schließlich „Trans Europa Express“ von Kraftwerk als Chassis für seinen Hit „Planet Rock“ benutzte, war klar, welch großen Einfluss die elektronische Musik auf das heute populärste Musikgenre der Welt hat, den Hip-Hop. Während New York 1982 zu „Planet Rock“ tanzte, erschienen daheim in Deutschland verständnislose Verrisse des Kraftwerk-Albums „Computerwelt“.
„Electronic Vibrations“ gelingt es, diese Geschichte unterhaltsam zu erzählen. Es kommen großartige Kronzeugen zu Wort wie das stille Kraftwerk-Mitglied Emil Schult, der Stockhausen-Sohn Simon und Peter Baumann von Tangerine Dream.
Die elektronische Musik ist aus den Studios der Vordenker in der Gesellschaft angekommen, man hört sie jeden Tag im Radio. Ihre Seele, das ist das Fazit des Films, hat sich erhalten: „die unbändige Lust am Abenteuer“.