Lokomotivführer Die guten und die schlechten Seiten des „Traumberufs“ Lokführer

Düsseldorf · 1600 Lokführer sucht die Bahn deutschlandweit, 200 in NRW. Der Mangel hat Folgen. Ein Lokführer berichtet von den schönen und den Schattenseiten des Jobs.

Der Lokführermangel führt auch in Nordrhein-Westfalen immer wieder zu Ausfällen.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Lokomotivführer dürfte dank Lukas und Jim Knopf auf der Berufswunschliste vieler kleiner Jungen ziemlich dicht unter Profifußballer rangieren. Aber offensichtlich behalten zu wenige diesen Plan bis ins erwerbsfähige Alter bei. Denn in Deutschland und auch speziell in Nordrhein-Westfalen werden Lokführer händeringend gesucht. Der Personalmangel führt zu Überstundenbergen, vereinzelt sogar zu Zugausfällen. Die Deutsche Bahn als Marktführer will bis Ende des Jahres deutschlandweit 1600 Lokführer einstellen, allein in NRW 200 – alle zwei Monate startet hier ein zehnmonatiger Ausbildungslehrgang. Auch Eurobahn, Nordwestbahn und Nationalexpress haben hierzulande jede Menge freie Stellen in verschiedenen Regionen.

Besonders heftig traf die Lokführer-Lücke die DB Regio NRW in diesem Sommer: Im Juli fielen an einem Wochenende alle Züge der Linien RE 11, S 5 und RB 37 aus – „aufgrund kurzfristig aufgetretener Personalengpässe“, hieß es. „Unsere Planer versuchen bis zur letzten Minute, offene Schichten zu besetzen“, sagt ein Sprecher der Bahn auf Anfrage. „Falls dies einmal nicht gelingt, versuchen wir, Busse als Ersatz zu organisieren.“ So auch an jenem Wochenende. Zahlen zu den personell bedingten Ausfällen in NRW insgesamt würden nicht kommuniziert.

„Wir haben massive Nachwuchssorgen“, bringt es Claus Roelofsen auf den Punkt – er ist selbst Lokführer, inzwischen Betriebsrat bei der DB Regio NRW und stellvertretender Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Trotz eines in der jüngeren Vergangenheit deutlich gesteigerten Verdienstes und der Komponente Sicherheit: „Es wird kein Lokführer arbeitslos“, so Roelofsen.

1985 hat der Niederrheiner bei der Bahn in NRW angefangen. Er kennt die schönen und schattigen Seiten des Jobs. „Es ist ein schöner Beruf“, ist er bis heute sicher. Er denkt gern an die Morgen, als er seinen Zug aufrüstete, während die Sonne aufging. „Wenn man dann losfährt, steht der Nebel noch über den Feldern. Es ist schon Romantik dabei“, schildert der Lokführer. Viele seiner Kollegen schätzten wie er die Selbstständigkeit. „Man hat keinen, der einem im Nacken steht. Man ist sein eigener Chef.“ Die teilweise eingleisige Strecke Richtung Kleve ist er gern gegondelt – „das war gemütlich“ – auch die Linie S 6 hinter Ratingen.

Aber die Zeiten ändern sich. Die Strecke nach Kleve hat inzwischen die Nordwestbahn übernommen. Und Roelofsen ist als Betriebsrat freigestellt. Darüber ist er froh. „Lokführer ist ein Job, der einem viel abverlangt“, sagt er. Und der Familie. Als Sohn eines Eisenbahners erinnert er sich noch gut, wie er früher aus der Schule kam und ganz leise sein musste, weil sein Vater schlief. „Der unregelmäßige Wechseldienst ist saumäßig anstregend“, sagt Roelofsen. „Wir haben sämtliche Schichtlagen. An einem Tag arbeiten wir etwa von 3.18 bis 11.12 Uhr, am nächsten von 5.27 bis 13.08 Uhr. Das wird immer minutiös von der Abfahrtszeit des Zuges zurückgerechnet.“ Mal habe eine Schicht sechs, mal zehn Stunden – maximal 60 Arbeitsstunden in der Woche seien drin, es gebe eine Zielzeit für das ganze Jahr.

Für den Biorhythmus seien die wechselnden Startzeiten Gift. Und: Laut Tarifvertrag, so Roelofsen, stehen den Lokführern zwölf freie Wochenenden pro Jahr zu. Er selbst hat deshalb das Vereins-Tischtennis drangeben müssen. Der Personalmangel verschärfe die Situation weiter. „Die Schichten sind härter geworden. Ausgepresst“, sagt der Lokführer und Gewerkschafter. „Da ist die Arbeitsschutzpause drin – und das war es dann. Der Rest ist Leistung.“ Immer häufiger gebe es Anrufe der Disponenten, die verzweifelt versuchten, freie Schichten zu besetzen. „Kaum ein Lokführer bekommt seinen Urlaub so, wie er ihn beantragt“, berichtet Roelofsen weiter. „Es ist eine schwierige Zeit.“

Die ständige Diskussion um autonom fahrende Züge sei da „extremst kontraproduktiv“, so der Eisenbahner. Man werbe in den Schulen um Nachwuchs – und bekomme von den Eltern zu hören, sie ließen nicht zu, dass ihre Kinder eine Lehre in die Arbeitslosigkeit machten. Roelofsen ist sicher: Dazu wird es auf absehbare Zeit nicht kommen. Aber: „Das ist uns echt auf die Füße gefallen.“

Die Unfallgefahr fährt mit – Roelofsen hat das selbst erlebt

Und manche Bewerber ziehen auch nach dem Einstellungsgespräch zurück, wenn ihnen die Verantwortung eines Lokführers bewusst wird. Denn jeder, so der Betriebsrat, wird dort mit dem Risiko von Unfällen oder Suiziden konfrontiert. Claus Roelofsen hat selbst erlebt, was das bedeutet. An einem Morgen in den 90ern fuhr er mit seiner S-Bahn der Linie S 1 in den Bahnhof Bochum-Langendreer ein. Er sah einen Mann mittleren Alters, der offenkundig betrunken an der Bahnsteigkante umhertorkelte. Da hatte er schon den Hebel für die Schnellbremsung „nach hinten geschmissen“, erinnert er sich, mit einem Fußhebel das Pfeifsignal ausgelöst. „Das sind automatisierte Abläufe.“ Doch er wusste, dass es trotz seines geringen Tempos nicht passen würde – und dann kippte der Mann, fiel ins Gleis. „Eine Lok-Länge hätte gefehlt ...“ Sofort setzte Roelofsen einen Notruf ab. Dann ging er selbst nach dem Mann schauen – etwas, das die Fahrer nicht tun müssen. Aber der Betrunkene war schon tot. Es war morgendlicher Berufsverkehr, „der Bahnsteig stand voller Menschen“.

Bundesregierung will die Zahl der Fahrgäste bis 2030 verdoppeln

„Keiner kann sagen, wie man so etwas erlebt“, sagt der Lokführer. Ein anderer Fahrer habe ihn abgelöst, er sei mit nach Düsseldorf gefahren und dann allein mit dem Auto nach Hause. „Das ist heute besser geregelt“, erklärt er. Ein Notfallmanager betreue Fahrer nach einem Unfall bis zur Haustür. Auch, wie viel Zeit ein Fahrer braucht, bis er wieder in eine Lok steigen kann, sei unterschiedlich. Manche können es nie wieder. „Ich war zwei Wochen raus – die habe ich auch gebraucht“, berichtet Roelofsen. „Ein paar Jahre lang hat mir an der Stelle immer die Kopfhaut gejuckt. Das war sicher psychisch.“

Der Unfall hat Claus Roelofsen gezeigt: „Wir befördern jeden Tag Tausende Menschen. Das ist eine Riesenverantwortung.“ Und geht es nach der Bundesregierung, werden es immer mehr Menschen: Gerade erst hat Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) angekündigt, bis 2030 die Zahl der Fahrgäste verdoppeln und noch mehr Güterverkehr auf die Schiene holen zu wollen. Nach Lummerland klingt das in der Tat nicht mehr. Aber in Zeiten drohender Dieselfahrverbote nach einer Riesenzukunft für den Beruf des Lokomotivführers. Zumindest so lange Züge eben nicht allein fahren können.