Wiederbegegnung mit der eigenen Realschule Wie Realschüler NRW-Justizminister Biesenbach überfordern

Hückeswagen · Eigentlich will der NRW-Justizminister in seiner Heimatstadt Hückeswagen über 70 Jahre Grundgesetz diskutieren. Aber die Schüler haben eine andere Agenda.

Auftritt in seiner alten Schule: Vor 55 Jahren hat NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) die Realschule in Hückeswagen verlassen. Äußerlich hat sich wenig verändert. Aber die Schüler von heute ticken anders.

Foto: Ekkehard Rüger

55 Jahre ist es her, dass er selbst diese Schule mit der Mittleren Reife in der Tasche verlassen hat. Jetzt besucht NRW-Justizminister Peter Biesenbach (71, CDU) am Tag nach der Europawahl wieder die Städtische Realschule im oberbergischen Hückeswagen und sagt: „Ein bisschen Farbe und ein neuer Anbau, aber viel verändert hat sich nicht.“ Doch, es hat sich etwas verändert, das werden die nächsten anderthalb Stunden beweisen.

Als Biesenbach 16 Jahre alt war, wollte er „mitgestalten, wie Hückeswagen aussehen sollte“. Darum ist er damals in seiner Geburts- und Heimatstadt in die Junge Union eingetreten. Es war der Anfang einer politischen Karriere, die ihn über die Kommunal- und Kreispolitik bis in den Landtag und seit Juni 2017 als ältester Landesminister Deutschlands in das Justizministerium brachte. Die Neuntklässler von heute kämen kaum noch auf die Idee, ihr politisches Engagement in der Jugendorganisation der CDU zu verorten.

Eigentlich ist der Minister gekommen, um mit dem 62 Schülern der Klassen 9a und 9b über das Grundgesetz zu diskutieren. Die vier Schüler der Schülerzeitung, die Biesenbach vor der anschließenden Diskussion zum Interview treffen dürfen, halten sich mit ihren vorformulierten Fragen auch weitgehend an das Konzept des Vormittags. Biesenbach kann von der tollsten Verfassung schwärmen, „die Deutschland je hatte, eine der besten in Europa und in der Welt“. Eine Abwahl wie von Kanzler Sebastian Kurz in Österreich könne es hier nicht geben. Und bei den drei Gewalten Judikative, Exekutive und Legislative handele es sich um ein „ausbalanciertes Machtverhältnis“.

Doch schon bei der Frage nach der Fridays-for-Future-Bewegung prallen Welten aufeinander. Biesenbach, ganz Jurist, beharrt darauf: „Regeln und Gesetze sind einzuhalten.“ Das fortwährende Schulschwänzen behagt ihm nicht. Auch einem Europawahlrecht schon ab 16 Jahren kann er nichts abgewinnen.

Das Grußwort zum Grundgesetz wird gar nicht erst vorgetragen

Später dann, als der Minister den beiden Klassen gegenübersteht, gerät das Grundgesetzthema ganz aus dem Blick. Vielleicht hat er schon so etwas geahnt, als er darauf verzichtete, sein siebenseitiges Grußwort zum 70-jährigen Bestehen der Verfassung überhaupt vorzutragen, um so mehr Raum für Fragen und Diskussion zu bieten. Stattdessen ist der weitere Verlauf so etwas wie ein Sinnbild für die große Distanz zwischen den Jungen und den Alten, wie sie sich bei den Europawahlen manifestiert hat.

Schon gleich mit der ersten Frage wird deutlich: Die Realschüler haben ihre eigene Agenda. Was Biesenbach denn von der Urheberrechtsreform halte und den zur Kontrolle notwendigen Uploadfiltern, will Julian (15) wissen. Biesenbach antwortet, es sei Aufgabe des Staates, Menschen zu schützen. Er will das, was er meint, am Beispiel des Darknets verdeutlichen, diesem „Kaufhaus für Kriminelle“, wie er es nennt. „Wenn ich alles zulasse, gibt es Chaos.“ Julian stellen die Antworten nicht zufrieden. „Ich habe das Gefühl, er ist meiner Frage ausgewichen“, wird er am Ende sagen.

So geht das unerbittlich weiter. Warum ist Alkohol legal, Cannabis aber nicht? Was ist mit der größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich? Warum klappt der Kohleausstieg nicht schneller? Was sollend die US-Atomwaffen noch in Deutschland? Wenn Journalisten einen Minister so in die Mangel nehmen, spricht man vom Grillen. Bei den Schülern ist es Ausdruck eines völligen Unverständnisses für die Gedankenwelt der Politprofis. Als Biesenbach darauf verweist, wie viel Steuergeld schon in die Sozialausgaben fließt, wird ihm als Gegenargument die viele Steuerverschwendung vorgehalten. Als Kronzeuge der Schüler gilt: Mario Barth. Ausflug zu den Informationsquellen der Generation Youtube.

Biesenbach weicht der Diskussion nicht aus, kein Mal beharrt er darauf, dass es doch eigentlich um das Grundgesetz gehen sollte. Aber er scheint zu spüren, dass er die Schüler nicht gepackt bekommt. „Ich bin erstaunt, wie breit das Meinungsbild ist“, sagt er, als die angesetzte Stunde fast verstrichen ist. „Ob die Antworten euch gefallen haben, weiß ich nicht.“ Ihm bleibt zum Schluss nur ein Appell: Es sei richtig, Fragen zu stellen. „Aber bitte überfordert die Politiker nicht damit, dass sie sofort eine Lösung haben sollen.“

Von Deutschlehrerin Birgit Engels gibt es zwar auch noch einen Rüffel („Wenn ihr bei der zentralen Abschlussprüfung so am Thema vorbeiarbeitet, gibt es ein Problem“), aber die Brücke zwischen den Generationen ist damit auch nicht mehr zu retten. Am Ende der Begegnung nimmt die 16-jährige Inja vor allem den Eindruck mit, „dass man aneinander vorbeiredet – auf beiden Seiten“.