Als Ministrant im Oberallgäu
Anlässlich des Todes meiner Mutter in diesem Jahr haben mein Bruder und ich die alten Fotoalben und Super-8-Filme angeschaut. Natürlich war da viel von Weihnachten bei, wir als Kinder mit Flöte und Gitarre am Weihnachtsbaum, Gott sei Dank Stummfilme.
Aber daran erinnere ich mich gut.
Die Bescherung begann immer mit Weihnachtsliedern am Baum. Als ich klein war, durfte ich erst ins Wohnzimmer, als schon alles fertig war, weil ich da noch glaubte, dass das Christkind selber kommt. Die Klingel, mit der das Christkind läutete, aber dann verschwunden war, wenn ich das Wohnzimmer betrat, steht heute bei mir im Wohnzimmer. Später haben wir gemeinsam den Weihnachtsbaum geschmückt, bis - und jetzt kommt es vielleicht doch zu meinem schönsten Weihnachten - wir eines Tages mit der Familie und der Oma Weihnachten nicht mehr zu Hause verbrachten. Meine Mutter sollte nicht mehr so viel Arbeit haben, alle Festmenüs zu kochen. Stattdessen verbrachten wir fortan Weihnachten im wunderschönen Oberallgäu. Der erste Heiligabend in den Bergen war 1978, ich war 16 Jahre alt. Weihnachten in der Ferienwohnung ohne Baum, ohne Flöten und Gitarren, aber mit einer kleinen Krippe, einer Kerze, einer kleinen Hausandacht und Weihnachtssingen. Spät am Abend ging es zur Christmette, und das war wunderbar. Es schneite. Weiße Weihnacht. Vor der Kirche Alphornbläser. Das war ein weihnachtliches Gänsehautgefühl. Eine festliche Christmette, brechend voll mit Einheimischen und Urlaubern. Und nach der Christmette ging es auf den Dorfplatz. Es schneite immer noch. Und in den Schnee hinein, in die stille Nacht, spielte ein Blasorchester auf dem Dorfplatz „O du fröhliche“. Das werde ich nie vergessen.
Aber einen Wermutstropfen gab es schon. Als treuer Messdiener war es für mich ein ziemliches Opfer, Weihnachten bei meinen Eltern in der Bank zu sitzen und nicht Dienst am Altar tun zu dürfen. Als wir auch am zweiten Weihnachtstag noch mit der ganzen Familie in der Kirche waren, was offenbar für Urlauber schon damals nicht so selbstverständlich zu sein schien, entdeckte mich der Pfarrer und sprach mich an: „Und wenn ihr nächstes Jahr wiederkommt, dann kannst du doch Weihnachten mitministrieren“. Was für eine Freude. Vielleicht ist das mein schönstes Weihnachten gewesen, zwei Tage später, im Vorausblick auf die kommenden Jahre, wo ich stolz und voll Freude Jahr für Jahr, bis ich Weihnachten selber Dienst als Priester zu Hause hatte, als Ministrant im Oberallgäu in der Christmette am Altar stand.
Ulrich Hennes (55) ist Düsseldorfs Stadtdechant