Barbara Kantel: „An das Kindertheater aus der guten alten Zeit glaube ich nicht“
Schlechte Auslastung, negative Kritiken — für das Junge Schauspielhaus gab es viel Schelte. Jetzt werden die Zahlen besser.
Frau Kantel, Sie hatten keinen guten Start. Unter Ihrem Vorgänger Stefan Fischer-Fels betrug die Auslastung im Jungen Schauspielhaus 82 Prozent. Im Sommer 2011 übernahmen Sie die Leitung, und die Auslastung lag zuletzt bei 52 Prozent.
Barbara Kantel: Diese Zahl ist nicht mehr aktuell, unsere Auslastung beträgt nach gestrigem Stand 65 Prozent. Übrigens hatte auch Stefan in seinen ersten Spielzeit in Düsseldorf keine 80 Prozent. Aber Sie haben Recht, als die 52 Prozent ,auf dem Tisch lagen’, war ich schockiert.
Was läuft falsch?
Kantel: Ein Wechsel ist immer zunächst einmal schwierig, man braucht Zeit herauszufinden, wie die Stadt und die Zuschauer ticken. Die künstlerische Qualität der Stücke, meine ich, stimmt. Wir haben anfangs vielleicht den konzeptionellen Aspekt zu sehr betont. Das Publikum braucht Emotionen, an die es andocken kann. Das ist uns leider zu selten gelungen. Aber es gab und gibt nicht nur Flops. Und seit Beginn der neuen Spielzeit scheint es aufwärts zu gehen. Die Vorstellungen von „Ente, Tod und Tulpe“ und „Kabale und Liebe“ sind fast immer ausverkauft.
„Klaus und Erika“ von Staffan Holm war eine ziemlich verkopfte Angelegenheit. Und dafür gab es ja auch gleich die Quittung — mit einer Auslastung von nur 20 Prozent.
Kantel: Ich finde die Inszenierung nach wie vor gelungen. Allerdings haben wir uns vorher nicht klar gemacht, dass das Stück in Deutschland anders gelesen wird als in Schweden. Dort spielt die Tatsache, dass es sich um die Kinder von Thomas Mann handelt, nur eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehen die Konflikte zwischen Kindern und Eltern. In Deutschland wird es auf der historischen Basis gelesen.
Wie haben Sie das festgestellt?
Kantel: Vor allem von Lehrern haben wir gehört: Interessantes Stück, aber es überfordert unsere Schüler.
Sie wollen künftig emotionalere Stücke bringen, machen also Zugeständnisse?
Kantel: Eigentlich wollen wir das, was wir uns von Anfang an vorgenommen haben, besser machen: Unser Theater soll berühren! An das Kindertheater der guten alten Zeit mit Mutter-Vater-Kind-Konflikten und klaren Lösungen glaube ich nicht. Theater kann keine Lösungen anbieten, sondern — wenn es gut ist — die richtigen Fragen stellen.
Sie favorisieren das Mitmachtheater, Projekte, bei denen Jugendliche selbst auf der Bühne stehen. Diesen Bereich haben Sie deutlich ausgebaut — und vielleicht aufs falsche Pferd gesetzt.
Kantel: Ich favorisiere nicht das Mitmachtheater, sondern denke, dass das Theater heute viele verschiedene Formen braucht in einer differenzierten Gesellschaft. Man braucht allerdings Zeit, um den Erfolg solcher Programme aufzuzeigen. Er schlägt nicht sofort in Auslastungszahlen zu Buche. Mittlerweile ist die erste große Skepsis gegenüber dem Mitmachtheater überwunden. Es läuft besser.
Worauf stützt sich diese Annahme?
Kantel: Die Vorstellungen etwa von „Almost Lovers“ und „Schwestern“ sind viel besser besucht als die Mitmachstücke in der ersten Spielzeit. Was auch daran liegt, dass die Schulen jetzt öfter die Abendvorstellungen besuchen.
Und die Vormittagstermine?
Kantel: Für Schulen sind auch diese Termine nicht ideal. Aufgrund der Unterrichtsverdichtung wird es für Schulen immer schwieriger, ins Theater zu gehen. „Bloß kein Unterrichtsausfall“ — das hören wir immer wieder, und das bekam schon mein Vorgänger zu spüren. Bei einem Treffen des Deutschen Bühnenvereins vor einem Jahr wurde ein neuer Trend offenkundig: Die Vormittagsvorstellungen brechen weg, immer mehr Theater spielen abends für Schulen.
Ist das Düsseldorfer Publikum wirklich so speziell, wie oft behauptet wird?
Kantel: Das wird einem inzwischen so oft suggeriert, dass man es schon fast selber glaubt. Es heißt, die Düsseldorfer mögen es anspruchsvoll und unterhaltsam. Ich weiß es nicht. Unser — vor allem — junges Publikum erlebe ich als neugierig und begeisterungsfähig. Allerdings haben wir es heute mit einer jungen Generation zu tun, für die Theater keine selbstverständliche kulturelle Praxis ist — manchmal auch nicht mehr für unsere Lehrer.
Inwiefern?
Kantel: Ein Theaterbesuch ist — vielleicht weil er in der eigenen Biografie nicht vorkam oder keine prägenden Erinnerungen hinterlassen hat — nicht mehr so wichtig. Auch deshalb brauchen wir Theaterprojekte, an denen sich Kinder und Jugendliche beteiligen. Früher haben Eltern und Lehrer die Aufgabe übernommen, Kinder an das Theater heranzuführen. Heute ist es manchmal umgekehrt. Die Kinder und Jugendlichen bringen ihre Eltern mit zu uns, wenn sie auf der Bühne stehen. Und für die ist es dann oft der erste Theaterbesuch.
Ihr Vertrag endet zur Spielzeit 2013/2014. Werden Sie so lange bleiben, jetzt da Staffan Holm sich zurückgezogen hat?
Kantel: Ich werde bleiben, solange es die Möglichkeiten gibt, unser künstlerisches Programm umzusetzen.