Beifall für das „Lebenswerk“ des Musikvereins

Kein Chor der Welt ist dem Oratorium „Paulus“ von Felix Mendelssohn Bartholdy stärker verbunden als der Städtische Musikverein zu Düsseldorf. Der berühmte Liebhaber-Chor bestritt im frühen 19. Jahrhundert unter Mendelssohns Leitung die Uraufführung des Werkes.

Foto: Susanne Diesner

Damals gaben die Niederrheinischen Musikfeste den Rahmen ab. Mit den Düsseldorfer Symphonikern, die aus dem Musikverein hervorgingen, nahm der Chor in den 70er Jahren den „Paulus“ für das Label EMI auf — bis heute der Klassiker unter den Einspielungen des Werkes. Jetzt erklang Mendelssohns Vertonung der urchristlichen Saga wieder live in Düsseldorf. Anlass war die Jubiläumsfeier in der Tonhalle zum 200-jährigen Bestehen des Musikvereins.

Die Leitung von Orchester und Chor (Einstudierung: Marieddy Rossetto) übernahm Generalmusikdirektor Axel Kober. Vor Musikbeginn gab es Festreden: Oberbürgermeister Thomas Geisel und Tonhallen-Intendant Michael Becker sprachen lobende Worte, wobei Geisel sein Grußwort abkürzte. 18 Seiten hätten ihm seine Redenschreiber in die Hand gedrückt, sagte Geisel. Eine solch lange Hymne wolle er dem Publikum, das ja der Musik willen da sei, nicht zumuten. Und so redete der OB teilweise frei und machte die Sache kurz und schmerzlos.

Die persönlichste Ansprache kam vom Vorsitzenden des Musikvereins Manfred Hill. „Für uns ehrenamtliche Sänger sind verbale Anerkennungen wie Nahrung“. Lobende Worte würden die Motivation sehr befeuern, sich im Chor zu engagieren. Hill ging auch noch auf seine Herzensangelegenheit ein: die „Sing-Pause“ - ein Projekt, bei dem Grundschüler das Singen im Chor und Notenlesen lernen, verbunden mit regelmäßigen Massen-Auftritten in der Tonhalle. Der Vorsitzende hob auch die Bedeutung der Sing-Pause für die Integrationsprozesse hervor: Wenn Kinder türkischer und marokkanischer Herkunft ein Düsseldorfer Lied auf Platt singen, dann sei dies eine Möglichkeit in den heutigen überaus aufgeregten Zeiten an der Wohlfühlschraube zu drehen.

Als Hymnus auf die Verständigung zwischen Menschen lässt sich auch Mendelssohns „Paulus“ verstehen. Das legendäre Damaskus-Erlebnis des christenfeindlichen Saulus wurde ja zum Synonym für Bekehrung und Sinneswandel. Der Saulus wird zum Paulus, nachdem er vor den Toren von Damaskus die Stimme des unsichtbaren Jesu vernimmt, eine helle, freundliche Sopran-Stimme. Den Part übernahm nun die Sopranistin Miriam Feuersinger, die die Jesus-Worte mit leuchtendem und klarem Timbre zum Klingen brachte.

Das Solisten-Quartett erwies sich insgesamt als glänzend besetzt. Maximilian Schmitt (Tenor) verfügt über ein strahlendes Stimmmaterial, das er zum Beispiel in der Rolle des Propheten Stephanus beeindruckend einsetzte. Bassbariton Michael Nagy füllte die Rolle des Paulus kraftvoll aus. Sowohl den jüdischen Eiferer Saulus als auch den zum christlichen Märtyrer gewandelten Paulus sang er mit starkem stimmlichem Aplomb. Besonders fein und differenziert gelang die Darbietung der Mezzosopranistin Kimberley Boettger-Soller. Sie verfügt über ein sehr farbenreiches Timbre, weich und strahlend zugleich. Damit sorgte sie für die vokal am tiefsten berührenden Momente.

Der Chor des Musikvereins befand sich derweil in merklicher Feststimmung. In allen Stimm-Sektionen von Sopran bis Bass herrschte starke Motivation. Der Chor überbrachte das in der Heiligen Schrift enthaltende Paulus-Drama mit großer Wucht und starkem Temperament. Damit holte man sozusagen den alten Glanz der Niederrheinischen Musikfeste in unsere Gegenwart zurück in Form eines wohlklingenden Nachhalls aus dem 19. Jahrhundert. Das war gelebte Authentizität.

Großes Lob gebührt auch Axel Kober für sein feuriges Dirigat. Bei Kober erstaunt es immer wieder, dass er die ersten Takte sehr schlicht gestaltet, beinahe nüchtern und schmucklos ohne großes Mysterium. Dabei eignet sich der Anfang mit dem nur vom Orchester gespielten Choral-Thema „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ für weihevollen Überschwang. Doch Kober legt den Akzent mehr auf die dramatische Steigerung und Agilität an raschen Stellen. Und dann hält er das bis zum Schluss durch und baut einen großen Spannungsbogen.

Das Publikum applaudierte zum Schluss hingerissen viele Minuten lang. Der Chor erntete gewissermaßen auch Beifall für sein großes Lebenswerk, das ja mehr ein zweifaches Jahrhundert-Werk ist und wesentliche Konstante unserer bürgerlichen Musikkultur.