Das Leben ist ein Rollenspiel

Sage mir, mit wem du rum ziehst, und ich sage dir, wer du bist — eine Betrachtung. Auch zur Modestadt Düsseldorf.

Foto: Thomas Rabsch

Immer wieder freitags geht dieses dumpfe Grollen durch die Stadt. Es kommt aus dem so genannten Business-District zwischen Kö, Carls-, Heinrich-Heine- und Graf-Adolf-Platz. Dort schwillt es an wie Donnerhall. Nein, da naht kein Unwetter, nur das Wochenende, der Rollenwechsel von der Arbeits- und die Freizeitwelt. Dazwischen können Welten liegen.

Künstler waren schon immer ein fahrendes Völkchen. Inzwischen gehören auch die Job-Nomaden dazu, Lebens- und Überlebenskünstler aus allen Professionen. Besonders vor so genannten Brückentagen wie in der letzten Woche, als der arbeitsfreie Tag der Arbeit, der 1. Mai, auf einen Dienstag fiel. Da eilten noch mehr Karrieristen durchs Karree, im Schlepptau diesen modernen Werkzeugkoffer für die Work-Life-Balance. Die Dinger die auf jedem Straßenbelag ein anderes Geräusch machen, Sinfonie der Großstadt, Ouvertüre für Wochenend und Sonnenschein. Das Leben ist ein Rollenspiel.

Das Auto ist ja längst kein Status-Symbol mehr. Da muss jetzt so’n schicker Hacken-Porsche her. Anfangs noch auf zwei Rädern, womit die Dinger oft schwerer zu bewegen waren als ein störrischer Dackel, der an der Leine zieht. Inzwischen laufen Trolleys auf vier japanischen Flüsterrollen neben einem her wie ein braver Hund und beherrschen dabei sogar elegante 360-Grad-Drehungen.

Ich war mal versucht, eine Typologie der Trolley-Träger zu verfassen - mit so Wortspielen wie harte Schale, weicher Kern. Oder: Sage mir, mit wem du rum ziehst, und ich sage dir, wer du bist.

Klar, der Kreative trägt Rillen von Rimova. Schon seit 1898. Aus Aluminium müssen sie ein. Alles andere wäre stillos, bekommt auch nicht diese Gebrauchsspuren, die das Teil erst zum unverwechselbaren Lieblingsstück machen. Ein Kratzer pro Karriereknick, eine Beule für jedes Missgeschick.

Top-Manager tragen Tumi. Praktisch unkaputtbar durch bereits in der Luft- und Raumfahrttechnik erprobte Material-Qualität. Die hat nicht nur ihren Preis, sondern auch ihr Gewicht schon im Leerzustand. Man könnte es auch leichter haben mit einem Reisebegleiter aus ultraleichtem High-Tech-Polycarbonat. Doch die gibt’s ja schon als Massenware aus dem Kaufhaus oder als Dreier-Pack beim Discounter.

Im High-End-Bereich kann ein Kroko-Kabinen-Köfferchen von Berluti gut und gerne (zig-)tausend Euro kosten. Wenn ich je so weit käme, würd’ ich mir glatt einen Butler dazu leisten, der das Ding für mich durchzieht.

Es geht aber auch um die inneren Werte. Einige sind von Anfang an reingepackt: rein- und rausknöpfbare Raumtrenner, gepolstertes Laptop-Fach, wasserdichte Wäschebeutel, herausnehmbare Powerbanks fürs Handy. Da wird der Koffer schon fast zum Mobile Home.

Wenn ich mich Langweile in Warteschlangen am Flughafen, denke ich mir aus, was die Leute wohl in ihren Koffern haben, ähnlich w8ie beim Kinderspiel: „Ich packe meinen Koffer …“ Dabei kommt es auf ein gutes Gedächtnis an. Einer fängt an und sagt, was er in seinen Koffer packt, der Nächste wiederholt den Gegenstand, packt einen dazu, der Nächste packt auf die zwei Teile ein drittes - und so fort. Der Rekord soll bei 150 Sachen liegen.

Ich packe nicht mehr so viel ein. Für rasche Rollenwechsel unterwegs, hab ich inzwischen so meine Kniffe. Der beste ist der Tüchertrick. Damit kann Frau zaubern. Ein großes Tuch kann alles sein: Schultertuch, Schal, langer Wickelrock, kurzes Wickelkleid, Strandrobe, Gürtel oder Haarschmuck. Beim Kapitänsempfang auf einer Kreuzfahrt wurde ich mal nach dem Designer meines bodenlangen Outfits gefragt: Es bestand aus einem einteiligen schulterfreien Badeanzug und einem dramatisch gewickelten großen Tuch.

Kofferkleider aus fließenden Materialien machen (sich) dünn. Leichte Stoffhosen sind tagsüber businesstauglich mit T-Shirt, Blazer und flachen Ballerinas, glamourös abends mit Glitzer-Shirt und hohen Hacken. Mein liebster Reisebegleiter ist und bleibt jedoch Pleats Please, zeitlos elegantes Plissee von Issey Myake. Abends in einem Klecks Shampoo gewaschen, über die Handtuchstange geworfen - morgens alles wieder frisch. Jedes Mal, wenn ich meinen kleinen Trolley packe, überkommt mich die Erkenntnis, dass ich eigentlich nicht mehr brauche, als was in so einen kleinen Rollkoffer passt. Ok, in zwei: einen für Frühjahr-/Sommer und einen für Herbst/Winter mit dünner Daunenjacke und Kaschmir-Rolli. Beschränkung auf das Wesentliche statt Schrankkoffer für das Überflüssige. Das Leben wäre um so vieles leichter.

Zugegeben, Männer haben’s da ein bisschen schwerer. Es soll ja Zeitgenossen geben, die lassen grundsätzlich Frau oder Freundin packen. Andere schmeißen erst kurz vor dem Abflug einfach alles in den Koffer und würgen ihn dann. Kein Wunder, wenn sie am nächsten Tag beim Termin schlecht ankommen, weil sie so zerknautscht aussehen. Blöd, wenn das ein Vorstellungsgespräch für eine Führungsrolle in einem Unternehmen ist. Für den ersten Eindruck gibt es bekanntlich keine zweite Chance.

Wie Mann am besten packt? Für die Kurzreise bis zu einer Woche reicht ein Anzug aus Mikrofaser oder federleichter Wolle, im Sommer mit ungefütterter Jacke. Am besten gleich mit zwei Hosen. Dazu ein ultraleichter Wettermantel, der passt in einen textilen Briefumschlag. Ein dünner Kaschmirpullover in frischer Pastellfarbe wärmt im Flieger und bei der After-Work-Party. Wer statt des Pyjamas einen dünnen Jogging-Anzug einpackt, ist sogar fit für’s Wellness-Center im Tagungshotel. Bei der Zusammenstellung der Reise-Garderobe immer schön in der Farbfamilie bleiben, denn gut kombiniert ist man besser drauf und sieht auch am besten aus. Muss ein Mann überhaupt gut aussehen? Muss er nicht! Aber man kann! Wie zum Beispiel André Kaczmarczyk, unser Rollen-Modell aus dem Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses, der da so lässig mit seinem Trolley durch die Baustelle Schauspielhaus zieht - wahrscheinlich in Richtung Ersatzbühne, dem Provisorium Central. Welche Rolle er dort spielt? Viele. Allein in seiner ersten Spielzeit in Düsseldorf waren es sechs. Viel gelobt in Gilgamesch.

Der smarte Thirtysomething und Wahl-Flingeraner stammt aus Thüringen, Eisenach. Dort schlüpfte er schon früh in die verschiedensten Rollen, gab bereits kurz nach dem Abi den jungen Martin Luther. Er kann auch „Tschick“ sein in der Bühnenadaption des Romans von Wolfgang Herrndorf, Geschlechterrollen vertauschen, als Spelunken-Jenny in der Drei-Groschen-Oper oder sich in eine Operndiva verwandeln. Kasczmarczyk muss sicher oft aus dem Rollen-Koffer leben.

Dass er in der Modestadt Düsseldorf gut angekommen ist, sieht man schon an seinem Outfit. Kurze Mode-Theater-Kritik: kleinkariert - aber ironisch gebrochen durch die Signalfarbe Rot mit passendem schmalen Schlips. Eine dunkle Weste dämpft das schrille Outfit. Der untere Knopf ist offen und lässt eine protzige Gürtelschnalle erahnen. Stilbruch in Körpermitte! Und die lässig über die linke Schulter geworfene Pelzjacke ist doch hoffentlich nicht echt, oder? Gepflegte Schmalzlöckchen überm Hemdkragen und eine coole Sonnenbrille geben dem ganzen Kerl dann noch so eine gewisse Blues-Brothers-Attitüde.

Alles in allem ein Bild von einem Mann. Vielleicht sogar ein Vorbild für Düsseldorfer Dandys und all die, die Montagmorgen wieder die Rolle rückwärts machen in die Stadt. Dann geht wieder dieses Raunen durch die Straßen. Bühne frei für ein neues Rollenspiel!