Düsseldorf „Das Loslassen fällt mir sehr schwer“

Bis vor kurzem hatte Gerlinde Knobloch noch eine Wohnung in ihrer Heimat Meran — obwohl sie seit drei Jahren im Pflegeheim lebt.

Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Früher hatte Gerlinde Knobloch keine Zeit fürs Fernsehen. „Während die anderen alle abends davor hingen, war ich unterwegs. Ich konnte nie mitreden, wenn es ums Fernsehprogramm ging“, sagt sie und lacht. Heute sei das anders. Vieles sei anders. „Eigentlich alles“, sagt sie nach einer Pause. In ihrem kleinen Zimmer im Dorothee-Sölle-Haus erinnern Poster und Postkarten an ihre Heimat in den Dolomiten. In Bozen wurde sie vor 86 Jahren geboren, in Meran hatte sie bis vor kurzem noch eine Wohnung. Nach einem Schlaganfall vor drei Jahren kam Gerlinde Knobloch in das Pflegeheim der Diakonie. „Ich hatte aber immer die Hoffnung, irgendwann wieder nach Meran zurückzukehren“, sagt sie. Mittlerweile habe sie diese Hoffnung aufgegeben. „Bekannte haben mich überzeugt, dass ich die Wohnung endlich aufgebe. Aber das Loslassen fiel mir sehr schwer.“

Gerlinde Knobloch hatte ein abwechslungsreiches Leben. „Ich bin sehr viel gereist“, sagt sie. Erst beruflich als Prokuristin einer Stahlfirma, später aus Leidenschaft. „Ich war fast überall auf der Welt — Südafrika, Neuseeland, Amerika“, sagt sie. Den Rest der Zeit verbrachte sie an ihren zwei Wohnsitzen in Meran und an der Schanzenstraße in Oberkassel. Immer ging es in ihrem Leben vorwärts, erzählt sie. „Jetzt muss ich mich daran gewöhnen, dass es einen Stillstand gibt. Das fällt mir sehr schwer.“

Ihre Unternehmungslust ist aber bis heute ungebrochen. „Ich gehe regelmäßig in die Tonhalle oder die Oper, besuche Museen und gehe Essen“, sagt sie. Als Mitglied im Südtiroler Verein werde fast alle zwei Wochen ein Geburtstag gefeiert, und auch im Dorothee-Sölle-Haus gebe es ständig Unterhaltung — und etwas zu lachen. „Eine andere Bewohnerin macht häufig Witze darüber, wie lange wir denn noch leben dürfen. Denn das ist davon abhängig, wie lange noch unsere finanziellen Reserven reichen“, sagt sie und lacht schon wieder.

Etwas zu lachen gebe es immer, sagt sie. Aber dafür müsse man miteinander reden. „Und viele der Bewohner sind hier leider stumm geworden.“ Fuchsig wird die 86-Jährige auch dann, wenn sie sich morgens am Frühstückstisch unterhalten will, alle anderen aber bereits wieder schlummern. „Da frage ich mich doch, was die nachts machen!“

Die Veränderungen in ihrem Leben zu akzeptieren, fiel Gerlinde Knobloch schwer — im Rollstuhl zu sitzen, Hilfe anzunehmen, ein neues Zuhause zu haben. „Mittlerweile fühle ich mich aber ganz wohl“, sagt sie. Mit allem sei sie einverstanden. Nicht aber mit dem Auslöser von alldem. „Auf den Schlaganfall bekomme ich heute noch eine Mordswut.“