Die Landschaft als magische Natur

Im Ehrenhof werden Grafiken von Kolbe und Gertsch mit Fotos der Becher-Klasse vereint.

Foto: Horst Kolberg

Gunda Luyken, fleißige Kuratorin im Museum Kunstpalast, stieß in der grafischen Sammlung auf 41 Radierungen und eine Zeichnung von Carl Wilhelm Kolbe d. Ä. (1759-1835). Jüngst kamen vier kapitale Blätter als Geschenk hinzu. Sie gelten dem Park von Wörlitz. Noch heute delektieren sich die wenigen Gäste an dieser Natur mit den klassizistischen Tempelchen und Skulpturen. Kolbe liebte dieses Arkadien und übertrug das Gesehene ins Visionär-Erdachte.

Der Grafiker nahm 1780 eine Stelle als Französischlehrer, ab 1784 auch als Zeichenlehrer an einer Reformschule in Dessau an und unterrichtete den Sohn und später den Enkel des regierenden Fürsten. In seiner Freizeit aber besuchte er die kapitalen Eichen im Park, die sich nun selbst als totes Astwerk über den Druckrand hinweg auf dem Papier ausbreiten. Er beobachtete Fraßspuren an den Blättern oder Kräuter im Unterholz, um die Motive in ihrer Kraft und ihrer Schönheit zu überhöhen.

Gunda Luyken gruppiert um diese Neuentdeckung drei recht unterschiedliche Künstler. Franz Gertsch (Jg. 1930) wurde in einem kleinen Ort am Bielersee geboren, zog 1976 nach Rüschegg und gilt als der wichtigste Holzdrucker der Gegenwart. Was er auf den meterlangen, handgeschöpften Papieren ausdruckt, übersteigt allein schon in den Maßen die Realität. Ausgangspunkt seines stundenlangen, mühsamen Arbeitens am Holzstock sind Fotos, die er auf die Holzplatte projiziert. Der Grund ist meist dunkel, auf alle Fälle monochrom gefärbt. Und Gertsch schneidet mit dem Hohleisen „Lichtpunkt“ für „Lichtpunkt“ aus. Der Rhythmus der Schnitte, die Sparsamkeit des Farbauftrags, die reduzierte Form des Motivs tragen zu einer gewissen Entmaterialisierung und Abstraktion des realen Motivs bei.

Anders bei den Fotokünstlern. Die Becher-Schülerin Simone Nieweg, Jg. 1962, wanderte anfangs auf den Spuren der Eltern und Großeltern durch die Anbaugebiete in Ostwestfalen. Die Natur diente den Vorfahren ganz praktisch zur Ernährung. Die Felder mit Wirsing, Kohl, Zuccini und Erbsen, die sich auf den Fotos zu kolossalen Landschaftskulturen weiten, sind mit dem Leben der Künstlerin unmittelbar verbunden. Zugleich sind sie im Sinne der Bechers klar strukturiert und dank des Ausschnitts abstrahiert.

Für die Kommilitonin Natascha Borowsky, Jg. 1964, wird das Stipendium in Mumbai zum Erlebnis. Sie läuft durch die niedrigen Mangrovenbäume, die am Ufer der indischen Metropole wachsen. Die Europäerin entdeckt die prächtig-farbigen, indischen Stoffe und Kleidungsstücke, die bei Flut angeschwemmt werden, sich verfangen und im Wasser spiegeln. Ein feines, optisches Spektakel in perfekten Aufnahmen ist dies.

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