Stadt-Teilchen Eine urbane Idylle dank des einst verhassten Büroriegels

Düsseldorf · Wie ich meine Einstellung zur Abschottung des Golzheimer Friedhofes änderte.

Der alte Golzheimer Friedhof (hier mit Schneeglöckchen) und im Hintergrund das Versicherungsgebäude. 

Foto: Landeshauptstadt Düsseldorf, Gartenamt

Manchmal ist man gegen etwas, und Jahre später merkt man, dass die Sorge unbegründet war, dass sich letztlich das Vorhaben, gegen das man viel Aufstand angezettelt hat, besser geworden ist als das, was man vorher gewohnt war. Ein bisschen geht es mir so mit dem Golzheimer Friedhof.

Ich weiß noch, wie wütend ich vor knapp zwölf Jahren war, als die Frage im Raum stand, ob die Victoria-Versicherung zwischen den südlichen Friedhofsteil und die Fischerstraße einen Büroriegel schieben darf. Gemeinsam mit 20 000 anderen unterschrieb ich einen „Rettet den Golzheimer Friedhof“ übertitelten Zettel, auf dem die Einleitung eines Bürgerbegehrens gegen den Neubau gefordert wurde. Das kam aber nach anfänglichem Erfolg vor Gericht nie zustande, weil sich letztlich dann doch nicht genügend Befürworter fanden, und auch weil der damalige Oberbürgermeister Joachim Erwin ziemlich arrogant dagegen agierte.

WZ-Kolumnist

Foto: NN

Nun steht der umstrittene Büroriegel schon lange Jahre, und die Versicherung heißt auch nicht mehr Victoria sondern Ergo. In zehn Jahren heißt sie wahrscheinlich Klummsbummsversicherung oder sonst wie. Namen sind in dem Geschäft weniger wert als Schall und Rauch. Geblieben ist aber der Friedhof mit den Gräbern aus dem 19. Jahrhundert, und den wird es ziemlich sicher noch geben, wenn die Ergo schon gar nicht mehr Klummsbummsversicherung heißt, die zugehörige U-Bahnhaltestelle aber immer noch den Titel Victoriaplatz/Kleverstraße trägt.

Der Büroriegel hat den Friedhof verändert, aber anders als ich das befürchtet habe. Er hat den südlichen Teil tatsächlich abgeschottet von der Fischerstraße, und das empfinde ich als Segen. Immer wieder verirre ich mich dorthin und bestaune die verwitterten Reste der Gräber, versuche die berühmten Namen zu entziffern und herauszufinden, welche Geschichten sich hinter Lacomblet, Rethel oder Schadow verbergen, die ja keineswegs nur als Erfinder der gleichnamigen Straßen bekannt wurden.

Ich vergesse meine Erkenntnislust aber meist recht schnell wieder, wenn ich über die Wege wandele, wenn ich auf die mit Moos und Klee übersäten Wiesen stapfe, um auf einem Stück Stein nachzuforschen, welcher Name da einst ganz deutlich stand, jetzt aber nur noch in Spurenelementen vorhanden ist. Ich schaue Enten beim Watscheln zu, Karnickeln beim Hoppeln, und neulich habe ich bestimmt fünf Minuten regungslos neben einer Amsel gestanden, die gerade voll konzentriert einen Wurm aus der Wiese zog und diesen dann verspeiste. Die Amsel verrichtete ihr Werk vielleicht einen Meter von mir entfernt und ließ sich nicht im Geringsten von meiner Anwesenheit irritieren. Von Menschenscheu keine Spur. Wurm ist Wurm und Wurm muss weg, dachte sie wohl. Ich ließ mich von ihrer Weltvergessenheit animieren und merkte, dass mir das leicht fiel, weil ich mich auf diesem verwunschenen Gelände mit seinen knorrigen Bäumen allein wähnte.

Natürlich waren da noch ein paar andere Spaziergänger und leider auch ein paar Hundeausführer, die es mit der Onlineverbindung zu ihren Vierbeinern nicht so genau nahmen, aber das störte mich nicht. Ich genoss den Augenblick und wähnte mich in einer anderen Welt. Nur von ferne drang das Rauschen des Verkehrs an mich heran. Ich stellte fest, dass ich diese urbane Idylle tatsächlich dem einst verhassten Büroriegel zu verdanken habe. Er schottet den Friedhof ab gegen den Lärm, er verschafft genau die Ruhe, die solch ein erhabenes Gelände auch braucht.

Natürlich könnte man sagen, dass der Friedhof jetzt ein bisschen wirkt wie ein nicht überdachtes Terrarium. Ja, könnte man sagen. Man könnte es aber auch lassen und feststellen, dass es nun mal einen Preis hat, wenn man darauf besteht, mit möglichst vielen Menschen auf engem Raum zusammenleben zu wollen. Da muss man sich die stillen Plätze schon suchen, weil irgendwer immer laut sein will.

Die Toten dürfte der Riegel eh nicht stören, die sind den Wandel gewohnt. Wenn ich das richtig gelesen habe, lag der Friedhof bei seiner Gründung zwei Kilometer außerhalb der Stadt, und auf seiner Westseite, wo heute das Oberlandesgericht und die Regierungspräsidentin residieren, war nichts, also freier Blick bis zum Rhein. Man kann so viel erfahren über diesen Friedhof, man kann auf den Internetseiten des Vereins „Der Golzheimer Friedhof soll leben“ alles nachlesen und sich kurz freuen über den Vereinstitel, der Friedhof und Leben so schön verbindet. Man kann sich auch heute, also an diesem 1. Juni, dorthin hinbegeben und den Vereinsmitgliedern beim Gräber putzen helfen.

Man kann aber auch einfach die wunderbare Idylle genießen, sich erfreuen an dieser zauberhaften Abseitigkeit im Mittendrin. Kurz mal raus aus allem, kurz mal nicht hier sondern irgendwo sein. Das geht, und nicht wenige Angestellte der zukünftigen Klummsbummsversicherung nutzen diese Chance ebenso wie ich.

Mir macht dieses Stück Grün immer wieder große Freude. Es ist eine Oase der Friedfertigkeit inmitten der großstädtischen Wüste. Und es ist mir Quell der Einsicht, dass das, was früher ganz weit draußen zu verorten war, nun mittendrin liegt. Das Wichtigste aber:

Ich weiß, dass nicht alles immer so schlimm kommt, wie ich es als staatlich anerkannter Bedenkenträger befürchte. Manches wird auch besser.