Stadt-Teilchen Der Mast sollte der Literatur, Kultur und Bildung dienen

Düsseldorf · Eine stark unterschätzte Form der Informationsvermittlung im öffentlichen Raum: der Mast. Er ist so gut wie nie unbeklebt.

An der Königsallee steht ein Mast, auf dem ein Brecht-Zitat überklebt wurde. Schade.

Foto: ja/Hoff

Es ist ein großer Irrtum, wenn man annimmt, dass Informationen dieser Tage vor allem durch Medien wie Zeitungen, Fernsehen oder das Internet verbreitet werden. Es gibt nämlich eine viel größere Meinungsmacht, eine, die besonders im städtischen Umfeld in ihrer Allgegenwärtigkeit von großer Kraft ist, die fast alle zu erreichen sucht, die da über die Straßen wandeln oder fahren.

Die Rede ist von den Aufklebern, die an fast jedem Mast in Düsseldorf zu finden sind. Masten ohne Aufkleber sind schwer zu finden, und wenn man mal einen ausfindig macht, dann ist er entweder nagelneu, oder er steht an einer Stelle, die niemand zufällig passiert. Unbeklebte Masten sind daher so selten, dass man sie in der Statistik getrost vernachlässigen kann. Das „fast“ wird daher gestrichen. Die These lautet nun: Es gibt keinen Mast ohne Aufkleber oder die Spuren derselben.

WZ-Kolumnist

Foto: NN

Es ist ein Phänomen, das bislang nur unzureichend untersucht wurde. Noch kaum jemand hat sich die Frage gestellt, wie es kommen kann, dass kein Mast unbeklebt bleibt. Vielleicht sollte ich mal einen Versuch unternehmen, das wissenschaftlich zu untersuchen. Ich würde dann einen nagelneuen Mast aufstellen mit irgendeinem Halteverbotsschild, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite baute ich ein Zelt auf, in dem ich dann mit vielen Kameras der Entwicklung harrte.

Ich gehe mal davon aus, dass es keine 24 Stunden dauern würde, bis der erste Aufkleber meinen Mast „verschönern“ würde. Natürlich würde ich den Vorgang filmen und direkt danach aus dem Zelt springen, um den Aufkleberanbringer zu stellen und nach seiner Motivation zu befragen. Denn diese Motivation muss es ja geben. Ich gehe schließlich davon aus, dass niemand einfach so einen Aufkleber mit sich herumträgt und diesen dann an „meinem“ Mast anbringt, diesen also quasi entjungfert. Ich erführe dann viel über Menschen, die im schlimmsten Fall Ausführer der Aufträge einer Aufkleberhersteller-Mafia sind, die sich dann im günstigsten Fall aber vielleicht als Botschafter irgendeiner wichtigen Wahrheit verstehen.

Nun weisen nicht alle Aufkleber auf wichtige Wahrheit hin. Wenn da einfach nur „Horst“ steht, dann sagt mir das nicht viel. Mit „FCK AFD“ kann ich schon mehr anfangen, und zwei Hände, die sich umrahmt von den Worten „Toleranz, Vielfalt und Menschlichkeit“ präsentieren, sagen mir auch etwas. Über den einfachen Zettel, auf dem „Wahrheit“ steht, müssen wir auch nicht reden. Was aber soll ich annehmen, wenn da einfach nur „We love the Beat“ steht? Sind das Tanzwütige? Oder einsame DJs? Oder wirbt der Sticker für einen Boxklub, wo es kräftig auf die Mappe gibt?

Eindeutiger wird es da schon bei den nicht selten anzutreffenden Aufklebern, die sich als Liebesbeweise für irgendwelche Kickklubs zu erkennen geben. „Fortuna“ ist da ein gängiges Motiv, und vor dem Uerige hat sich auch der 1. FC Magdeburg verewigt.

Möglicherweise handelt es sich bei solchen Zusammentreffen um Auswirkungen von Revierkämpfen. So wie Hunde an jeder Straßenecke das Bein heben, um eine Duftmarke anzubringen und ihr Gebiet zu markieren, stecken Fußballfans halt per Aufkleber ihre Hood ab.

Zu unterscheiden sind Aufkleber mit aufforderndem Charakter, die also irgendetwas im Menschen bewegen wollen, von Aufklebern, die rein werblicher Natur sind und für irgendeinen Klub oder einen Schnaps werben. Auch Werbung für Musik kommt vor. „Total Madness“ ist also kein Kommentar zur aktuellen Umweltpolitik der Stadtregierung, sondern weist auf ein Greatest-Hits-Album einer einst bedeutenden britischen Band hin.

Auf manchen Masten toben regelrechte Kämpfe, wenn es um den knappen Platz in Sichthöhe geht. An der nördlichen Kö findet sich beispielsweise ein teilweise vom „Jungle“ überklebtes Zitat von Bertolt Brecht. Das kann man nur noch in Fragmenten lesen. Ich habe das deshalb mal aus dem Internet herausgesucht. In voller Schönheit lautet es: „Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen / und schrien sich zu ihre Erfahrungen / wie man schneller sägen konnte, und fuhren / mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen / schüttelten die Köpfe beim Sägen und / sägten weiter.“

Ich finde, solche Aufkleber sinnvoll, weil sie zur Bildung beitragen und dem Passanten ein wenig zu denken geben. In diesem Sinne werden Masten allerdings noch zu selten genutzt, was sehr schade ist.

Noch bedauerlicher ist die Tatsache, dass die Aufkleber selten von dauerhafter Natur sind. Viele sind vergilbt, etliche präsentieren sich in sehr abgerissenem Zustand. Man weiß nicht, ob das von halbherzig durchgeführten Reinigungsversuchen rührt, oder ob einfach Wind und Wetter ihr wildes Werk getan haben.

Bei manchen Masten hat man gar den Eindruck, sie würden nur noch von Aufklebern zusammengehalten, was zur Angst führt, sie könnten zusammenbrechen, knibbelte irgendwer die Reste ab.

Wenn dereinst mal diese unsere Welt untergeht und von einer späteren Zivilisation die Vergangenheit der Erde aufgearbeitet wird, müssten dann Archäologen ans Werk. Deren Aufgabe wäre es, zu entziffern, was einst auf den Masten zu lesen war. Ein schwerer Job dürfte das sein, gegen den die Dechiffrierung der Hieroglyphen ein Klacks war.

Auch in anderen Städten scheint das mit den Aufklebern ein verbreitetes Phänomen zu sein. Kürzlich las ich, dass sich die CDU in Düren für aufkleberfreie Masten einsetzt. Die Stadt sehe dann schöner aus, prophezeiten die Politiker. Es müsse nur auf den Masten ein Anti-Haftanstrich aufgebracht werden, der frische Aufbringungen verhindere. Der Anti-Haftanstrich, der sicherlich auch bald bei Verbrechern beliebt wäre, kostet dem Vernehmen nach allerdings pro Mast 100 Euro. Auch wenn man in Köln angeblich gute Erfahrungen damit gemacht hat, stellt sich doch angesichts eines beinahe undurchdringlichen Schilder- und Mastenwaldes in unserer Stadt die Frage, ob da Kosten und Nutzen im richtigen Verhältnis stehen.

Außerdem ginge doch auch etwas verloren. Selbst wenn nicht an jedem Mast ein Brecht-Gedicht zu finden ist, könnte man doch mal darüber nachdenken, ob sich nicht eine Art-Masten-Kultur einrichten ließe. Es würden Masten reserviert für Bildungsinhalte, für ein bisschen Literatur. Künstler könnten Designs entwerfen, die genau auf die Masten passt und das jeweilige Werk zum Glänzen bringt. Das wäre doch was. Ich würde hinschauen.