Stadt-Teilchen Für eine Weile war ich in Gedanken Oberbürgermeister

Düsseldorf · Neulich bei einer Führung durch das Düsseldorfer Rathaus

Der Künstler Markus Lüpertz im Düsseldorfer Rathaus neben dem Bild des verstorbenen Oberbürgermeisters Joachim Erwin, das er gemalt hat. Dieses Porträt ist neben anderen im Ältestensaal zu sehen.

Foto: picture alliance / dpa/Horst Ossinger

Neulich war ich im Rathaus. Im Ältestensaal. Also in dem großen Sitzungssaal gleich rechts, wenn man durch das unter dem Hoppeditz-Balkon gelegene Portal eingetreten ist. Ich saß dort am längsten Tisch, an dem ich je gesessen habe. Der Tisch ist fast so lang wie der nicht gerade kleine Saal. Ein echtes Monstrum, das wohl keinem anderen Zwecke dient als dem, die Mächtigkeit der hier Tagenden zu unterstreichen.

Mein Blick fiel auf die vielen Porträts der Düsseldorfer Bürgermeister, die dort hängen. Auf das  comichaft wirkende von Dirk Elbers, auf das von Markus Lüpertz eher hingekleckste Abbild Joachim Erwins, auf die starr fotohafte Momentaufnahme von Klaus Bungert und natürlich auf den Riesenschinken, der an der Ostwand des Saales Wilhelm Marx zeigt. Den hatte ich bis dahin immer für den Erfinder des gleichnamigen Hochhauses gehalten, lernte nun aber dass er bis 1910 die Geschicke der Stadt führte und Düsseldorf bei der Expansion half.

WZ-Kolumnist

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Ich überlegte kurz, von wem ich mich denn malen lassen würde, hätte ich dereinst ein oder zwei Amtszeiten hinter mir. Nach dem Wegfall der Stichwahl kann man ja demnächst auch mit wenigen Prozenten auf den OB-Thron rutschen. Vieles scheint da möglich. Für eine Weile war ich also in Gedanken Oberbürgermeister und versuchte souverän und weise die Geschicke der Stadt zu lenken.

Das fiel mir schwerer als gedacht. Ich bin halt kein guter Diskutierer. Wenn ich Argumente habe und die verfangen nicht gleich beim Gegenüber, dann werde ich schnell laut, impulsiv, ja gelegentlich sogar eruptiv. Je weniger meiner Argumente verfangen, desto lauter werde ich. Ich stellte mir vor, wie ich in einem solchen Anfall auf den riesigen Ältestenrat-Tisch stiege und von oben herab auf die Anwesenden einschimpfte. Ich weiß, dass der, der schreit, immer Unrecht hat. Aber was soll ich gegen mein bisweilen südländisch ausgelegtes Temperament als Bilker Junge tun? Wir sind halt gewohnt, am Kraterrand zu tanzen. Für die Politik ist das eher nichts.

Ich hatte noch immer keinen Künstler gefunden, den ich mit der Erstellung meines Porträts beauftragen würde, als ich von einer freundlichen Dame aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ach ja, ich war ja hier im Ältestenrat gar nicht, um die Geschicke des Gemeinwesens zu lenken, ich war hier nur als Teil einer Rathausführung, die von der freundlichen Dame kundig geleitet wurde.

Die Führung findet jeden Mittwoch statt. Immer um 15 Uhr geht es beim Pförtner los und kostet die Teilnehmenden nicht mehr als zwei offene Ohren. Dafür gibt es jede Menge Input über die Stadtgeschichte. Mir sind seit langem nicht mehr so viele Jahreszahlen um die Ohren geflogen. Ich merkte schnell, dass ich, obwohl ich schon mitten im siebten Lebensjahrzehnt stecke, weniger über meine Heimatstadt weiß als ich lange wahrhaben wollte.

Ich fand es erstaunlich, wie viel Vergangenheit Düsseldorf schon hat und merkte, dass meine persönliche Geschichte dagegen auf Erbsengröße schmilzt. Auch hatte ich das Interesse der Öffentlichkeit an einer Rathausführung sträflich unterschätzt. Als ich mich an diesem Mittwoch zum Rathaus aufmachte, rechnete ich allen Ernstes damit, der einzige Teilnehmer der Führung zu sein. Von wegen. Neben mir fanden sich weitere 23 Teilnehmer, manche gar von weiter weg.

Ich lernte viel über Jan Wellem, über sein Reiterstandbild und seine Skulptur im Rathaus. Mir fiel vor allem auf, dass er wohl von eher kleiner Statur war. Ich sah auch den gemalten Monsterschinken, der eher groß als schön an die Schlacht von Worringen erinnert. Ich entdeckte den Davispokal, der einst von Tennisspielern der Stadt überlassen wurde. Und ich sah eine gläserne Trophäe, auf der Tour de France steht. Die erinnerte mich spontan an all die Millionen Euro, die für dieses verregnete Ereignis versenkt worden sind. Aber natürlich steht sie da, um den Ruhm des OB zu mehren. Man stellt halt nur in die Vitrine, was glänzt.

Das ist nicht durchweg angebracht. Dass bei der Führung durchs Rathaus die Zeit von 1933 bis 1945 höchstens am Rande Thema ist, muss man scharf kritisieren. Zwischen all den Erzählungen von Großtaten vergangener Regenten ist wohl kein Platz mehr geblieben, etwas ausführlicher an die Untaten zu erinnern, die von Düsseldorfern begangen wurden. An Tagen wie diesen ist es aber ein schwerer Fehler, so etwas weitgehend auszublenden. Die Größe einer Stadt zeigt sich auch im Umgang mit den dunklen Tagen.

Aber das fiel mir erst viel später auf. Erst einmal war ich beeindruckt vom Überfluss der vorhandenen Informationen und suchte nach Zerstreuung. Die bekam ich, als ich nach der Führung aus dem Rathaus trat und dort einen jungen Mann erblickte, der gerade Seifenblasen für Kinder und Junggebliebene herbeizauberte. Die Seifenblasen wurden vom Wind hochgeweht und erreichten auch Jan Wellem. Für einen Moment befürchtete ich, er könne in kindlichem Übermut gleich nach einer Blase greifen und dabei aus dem Gleichgewicht geraten. Aber er blieb sattelfest, der kleine Großregent. In Düsseldorf lässt man sich halt von ein paar Blasen nicht aus der Ruhe bringen.

Ich beschloss daraufhin, dass es egal ist, wer dereinst mein OB-Porträt malt. Hauptsache, es sind ein paar Seifenblasen drauf.