Krebskranke Mutter nimmt Hörbuch für ihren Sohn auf Die Stimme als Vermächtnis

Düsseldorf/Bensheim · Katja Unali und ihre Familie lieben Hörbücher. Jetzt nimmt die 49-Jährige selbst eines auf: Sie ist unheilbar an Krebs erkrankt, es ist ihr Vermächtnis. Mit einer Spendenaktion will sie das weiteren Familien ermöglichen.

Katja Unali bei einem Spaziergang mit ihrem neunjährigen Sohn Leandro.

Foto: Unali

Nur, wenn sie über ihren Sohn spricht, zittert ihre Stimme kurz, dann fängt sie sich wieder. Katja Unali ist 49 Jahre alt und wird sterben. Im Frühjahr wurde bei ihr ein aggressiver Brustkrebs diagnostiziert, die Chemotherapie schlägt nicht an, der Tumor hat gestreut. Wie viel Zeit ihr noch bleibt, weiß sie nicht. „Aber es geht alles so wahnsinnig schnell, da würde es mich wundern, wenn es damit anders wäre“, sagt sie. Und klingt dabei ganz nüchtern, ganz gefasst. Ihre Stimme ist fest, ihre Worte sind wohlüberlegt, man merkt, dass sie schon lange in der Kommunikationsbranche tätig ist.

Katja Unali kommt gebürtig aus Mettmann und arbeitet seit vielen Jahren bei der Akademie für Public Relations in Düsseldorf. Inzwischen wohnt sie mit ihrer Familie im hessischen Bensheim, kam vor der Corona-Pandemie aber fast alle drei Monate für die Arbeit nach Düsseldorf. Mit der Stadt verbindet sie viel, sie hat hier studiert, liebt den Rhein und die Altstadt. Auch ihrem Sohn Leandro hätte sie das gerne gezeigt – das wird sie nicht mehr schaffen. Doch erzählen möchte sie ihm davon, von ihrer Kindheit und Jugend, von wilden Studentenpartys und dem Kennenlernen mit ihrem Mann. Von der Entscheidung, eine Familie zu gründen und ein Haus zu bauen. Von ihrer Liebe zu ihrer Familie, zu ihrem Sohn, zum Leben.

Katja Unali hat sich entschlossen, all das einzusprechen und ein Hörbuch daraus machen zu lassen. Dafür hat sie sich an den Verein Familienhörbuch aus Köln gewandt. Die ehemalige Hörfunkjournalistin Judith Grümmer bietet tod­kranken Müttern und Vätern die Möglichkeit, ihren Familien etwas zu hinterlassen – Geschichten, Lieder, Erinnerungen und den Klang ihrer Stimme. Die Hörbücher werden professionell produziert und ausschließlich über Spenden finanziert. Rund 5000 Euro kostet die Produktion eines Hörbuchs. Das Projekt wird wissenschaftlich von einem Palliativmediziner und einer Psychoonkologin begleitet – mit dem Ziel, die Hörbücher künftig bundesweit und als Leistung der Krankenkassen anbieten zu können. Denn der Verein bekommt mehr Anfragen, als er annehmen kann. Katja Unali hatte Glück. „Meine Anfrage wurde innerhalb von drei Tagen positiv beantwortet“, sagt sie.

Der erste Termin steht kurz bevor, drei soll es insgesamt geben. Mit der Fertigstellung rechnet sie noch im Januar. Dass es zu Weihnachten nicht klappte, machte ihr nichts aus: Dafür hat sie für ihre Männer, wie sie sagt, schon diverse Fotobücher drucken lassen. In ihrem Hörbuch will sie einfach erzählen, möglichst anekdotenhaft, und auch kleine Geschichten einsprechen.

Katja Unali

Foto: Unali

Die Familie hört gerne zusammen Hörbücher, auch Leandro hat das schon als Hobby für sich entdeckt. Wenn der Neunjährige mit Lego spielt oder die Familie in den Urlaub fährt, so erzählt die Mutter es, läuft eigentlich immer irgendein Hörbuch. Und auch zum Einschlafen hört er sich gerne etwas an.

Bald könnte das ein Schlaflied sein, das Katja Unali ihm schon als Baby vorgesungen hat und das nun ebenfalls Teil des Hörbuchs werden soll. Als sie das sagt, zittert ihre Stimme kurz. Es sei das Schlimmste, sich vorzustellen, dass ihr Sohn bald keine Mama mehr hat. Sie weiß, wovon sie spricht, ihre eigene Mutter starb, als sie elf Jahre alt war. Aber ihre Stimme bricht nicht, und dann spricht Unali auch schon weiter.

So will sie es auch mit ihrem Hörbuch halten: Wenn sie stockt oder weinen muss, soll die Aufnahme weiterlaufen. „Wir brechen hier sowieso ständig in Tränen aus“, sagt sie, „dann kann das auch im Hörbuch so sein.“

Für das Projekt nimmt sie noch einmal all ihre Kraft zusammen. Viel bleibt ihr nicht mehr, seit einigen Wochen kann sie nicht mehr Fahrrad fahren, fast jede Bewegung schmerzt. Dazu kommen die Trauer und das Entsetzen über das unerbittliche Fortschreiten der Krankheit. Wie schnell alles geht, wie bald sie sich verabschieden muss. Dass sie ihren Sohn nicht aufwachsen sehen kann und ihre Familie bald ohne sie zurechtkommen muss.

Das alles macht fassungslos – und doch gibt ihr das Hörbuchprojekt Hoffnung. Diese möchte Katja Unali weitergeben, an andere Familien, die es ebenso getroffen hat. Und an die Macher des Familienhörbuchs, damit sie bekannter werden und ihr Projekt ausweiten können. Deshalb hat sie eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Bei der Formulierung des Spendentextes halfen ihr Kolleginnen aus Düsseldorf, ihr Arbeitgeber spendete auch die ersten 1000 Euro.

Über ihr großes Netzwerk verteilte sie den Aufruf im Internet, inzwischen hat er sich nahezu verselbstständigt. Zwei bis drei Hörbücher zu finanzieren, das war ihr Ziel, durchaus ambitioniert, wie sie selbst sagt; doch schon nach kurzer Zeit wurde es übertroffen. „Die Resonanz ist überwältigend“, sagt sie, „ich bekomme auch unheimlich viele rührende und aufbauende Nachrichten.“ Darunter auch solche von Menschen, die ebenfalls früh ein Elternteil verloren haben – und sich über ein solches Hörbuch sehr gefreut hätten. Mehr als 30 000 Euro hat sie schon gesammelt, die Aktion soll noch mindestens über die Weihnachtstage weiterlaufen. Dafür hat sie ihr Innerstes nach außen gekehrt, ihren Zustand und ihre Ängste mit aller Welt geteilt. „Eigentlich bin ich gar kein Typ dafür“, sagt sie, „aber das war es mir wert.“

Ganz privat soll hingegen das Hörbuch sein. Es ist das letzte Geschenk einer Ehefrau und Mutter an ihre Liebsten. Damit sich ihr Mann und ihr Sohn erinnern können, wie sie gesprochen und gesungen hat, auch wenn sie irgendwann nicht mehr da ist.