Düsseldorfer Geschichten Als Menschen im Zoo gezeigt wurden

Düsseldorf · Ab 1876 fanden „Völkerschauen“ in Düsseldorf statt. Die Menschen aus Übersee mussten vor aller Augen ihren vermeintlichen Alltag imitieren.

Mit dem Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck verlagerte sich die Zurschaustellung von Menschen von den Rummelplätzen in die Zoos. Auch in Düsseldorf fanden solche „Völkerschauen“ statt. Hier sieht man die Darstellung eines sogenannten „Nubischen Dorfes“.

Foto: Ulrich Brzosa

Seit Christoph Columbus nahmen Entdeckungsreisende auf ihren Rückreisen aus Asien, Amerika, Australien und Afrika immer wieder überseeische Bewohner mit nach Europa. Auch nach Deutschland, vielleicht auch nach Düsseldorf. Nachrichten wie aus Köln, wo 1781 „ein kollschwarzer Mohr“ im Dom getauft und „daselbst ein artiges Mädchen“ heiratete, sind für die nördliche Nachbarstadt indes nicht überliefert.

Trotz dürftiger Quellenlage liegt die Vermutung nah, dass bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nur wenige Düsseldorfer außereuropäische Menschen aus eigener Anschauung kannten. Mit Eröffnung eines Zoologischen Gartens am 31. Mai 1876 in Düsseltal wurde das anders. Im Tierpark wurden von Beginn an nicht nur exotische Tiere sondern auch Menschen aus fernen Ländern zur Schau gestellt. Die Sache an sich war nicht neu; neu war die Professionalität und Kommerzialität. Seit Alters wurden Menschen, die anders, fremd oder abnorm aussahen, auf Jahrmärkten, in Varietés und im Zirkus vorgeführt. Auch in Düsseldorf gehörten Liliputaner, großwüchsige oder adipöse Menschen, Bartfrauen oder Siamesische Zwillinge bei Volksfesten auf dem Carlsplatz zum festen Programmbestandteil.

Auf dem Düsseldorfer Jahrmarkt 1852 präsentierte ein Schausteller aus Lyon in seiner Bude neben Krokodilen und Klapperschlangen auch zwei Liliputaner, einen davon in einer Uniform von Napoleon, dessen Haltung und Bewegung er laut Düsseldorfer Journal „recht hübsch zu repräsentieren weiß“. Hauptattraktion war lindes ein Eskimo, „der umso mehr eine interessante Sehenswürdigkeit“ war, da er im „National-Costüm“ erschien, einen Nasenring trug und einen „bis auf die Mitte des Körpers herabhängendem Haarwuchs“ hatte.

Mit dem Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck verlagerte sich die Zurschaustellung fremdartiger Menschen von den Rummelplätzen in die Zoos. Der umtriebige Geschäftsmann lieferte den überall in Deutschland neu entstehenden Zoologischen Gärten nicht nur exotische Tiere aus fernen Ländern, sondern auch gleich die sie begleitenden Menschen mit ihren Zelten, Waffen, Karren, Schlitten und Hausrat. Als Hagenbeck 1874 seine erste Völkerausstellung mit „Lappländern“ durch die Lande schickte, hatte Düsseldorf noch keinen Zoo. Kaum war hier der Zoo eröffnet, gastierte Hagenbeck im August 1876 mit seiner neuen Show „Afrikanische Wüstenjäger“ auch in Düsseldorf. Großflächig wurde in der Stadt für die Völkerschau geworben.

Überall hingen Plakate, jeden Tag wurden Zeitungsinserate geschaltet, Fotos von Hamranern, Arabern und Nubiern, die Hagenbeck „mit seinem diesjährigen Thiertransport kommen ließ“, waren in Schaufenstern ausgestellt. Die „in Diensten von Herrn Hagenbeck stehenden Wüstenjäger“ führten 10 Tage lang im Düsseldorfer Zoo ihre Waffen, Hausgeräte, Musikinstrumente, Spiele und Tänze vor, posierten vor Elefanten, Giraffen oder Straußvögeln, ritten auf Dromedaren oder Wildeseln, imitierten den Zug einer Tierkarawane durch die Wüste und gaben den Besuchern so Gelegenheit, „sich mit der Lebensweise und den Eigenthümlichkeiten der Söhne Inner-Afrikas bekannt zu machen“. Das Interesse war enorm. Schon nach zwei Tagen vermeldete das Düsseldorfer Volksblatt: „Die im Zoologischen Garten eingetroffenen Wüstenjäger hatten die Schaulust der Düsseldorfer so angeregt, daß der Garten mehr als je besucht war. Man sieht, die Menschen üben immer mehr Anziehungskraft als Thiere – selbst im Zoologischen Garten“. Für Aktionäre des Zoos und Dauerkarteninhaber gab es vergünstigte Einlasskarten, „welche zur einmaligen Besichtigung der Afrikaner gültig sind“. Um die Exklusivität zu unterstreichen, fehlte auf den Plakaten nicht der Hinweis, dass die Schaustellung außer in Düsseldorf nur in Hamburg und Leipzig zu sehen war, „da die Afrikaner contraktlich im Oktober ihrem Stamme zurückgegeben werden müssen“.

Aborigines wurden in der Zeitung als Kannibalen angekündigt

1879 war Hagenbeck erneut in Düsseldorf zu Gast. Geplant war die Zurschaustellung von Aborigines aus Feuerland. Den Stereotypen der Zeit folgend, kündigte das Düsseldorfer Volksblatt die Ureinwohner vom Magellan als Kannibalen an, die keine richtige Sprache hatten und moralisch tiefstehend waren: „Wie alle Schalthieresser haben sie dicke Unterleiber und große, beinahe von Ohr zu Ohr gehende Mäuler. Der Mangel an warmblütiger animalische Nahrung ist es, welcher sie, wie alle wilden Nationen, welche dieselbe entbehren müssen, zu ausgesprochenen Kannibalen macht“. Und weiter: „Ihre Sprache ist der allerrohesten Art, da sie keine Schriftsprache besitzen und ihre Wortsprache ebenso arm an Worten als abscheulich in Gutturallauten ist. Moralisch stehen diese unglücklichen Geschöpfe sehr tief, von Familienbanden haben sie keine Ahnung, und man sagt ihnen nach, daß sie nicht allein Fremde sondern auch ihre eigenen Kinder verzehren“. Statt Kannibalen aus Südamerika schickte Hagenbeck dann aber „eine Gesellschaft von 10 Rothhäuten aus Canada vom Stamme der Irokesen nebst einem Mustang“ an den Rhein, die das Düsseldorfer Zoopublikum 14 Tage vor allen Dingen mit indianischen Reiterkünsten unterhielten.

In den 1880er-Jahren gingen für Hagenbeck über 40 Singhalesen aus Ceylon auf Tournee. Die mit Abstand größte Völkerschau in Deutschland gab 1884 in Düsseldorf ein Gastspiel. Begleitet von 20 Elefanten sollten die Singhalesen den Besuchern „ein anschauliches Bild vom Leben und Treiben jenes in der That interessanten Volksstammes geben“. Wie bei allen Völkerschauen gingen die Darsteller auch diesmal wieder vor naturgetreuen Kulissen vermeintlichen Alltags- oder Arbeitspraktiken nach, erfüllten so die Erwartungen der Zuschauer, verfestigten aber auch deren Klischees. Allein am Eröffnungstag wurden über 10 000 Einlasskarten verkauft. Für den Düsseldorfer Zoo ein Rekordergebnis. Ganz Düsseldorf besuchte die Ausstellung: Schulklassen, Arbeitervereine, Damenkränzchen, Militärkompanien. Die Düsseldorfer Presse sprach von einer „förmlichen Völkerwanderung zum Zoologischen Garten“, berichtete in spaltenlangen Artikeln über jede Aufführung der Wandertruppe und gewährte sogar Einblicke hinter die Kulissen. So erfuhren die Leser, dass jeder Singhalese eine Monatsgage von 50 Mark neben freier Kost und Logie erhielt, dazu das gesamte Ensemble täglich 20 Pfund Fleisch und 30 Pfund Reis und Brot.

Zu Tourneebeginn ließ Hagenbeck die Singhalesen „auf deren Wunsch“ in offenen Kutschen durch Düsseldorf fahren,, „damit sie sich die Stadt hübsch besehen möchten, bevor sie sich selber als Besichtigungsobjekt den Düsseldorfer präsentieren. Die Insulaner dehnten ihre Spazierfahrt bis nach Neuß aus, wo sie natürlich angestaunt wurden“. Der Betriebsausflug war nicht ohne Hintersinn, denn „es machte ihnen großes Vergnügen, kleine Karten mit Abbildungen der Truppe unter die Zuschauer zu verteilen“.

Nachdem Hagenbeck in den 1870er und 1880er Jahren die Ethnien aller Kontinente auf die Bühne gebracht hatte, erlahmte das Publikumsinteresse merklich. Auch in Düsseldorf. Zwar gab es hier bis zum Ersten Weltkrieg weiterhin regelmäßig Darbietungen von „Original-Neger-Truppen“, „Beduinen-Karawanen“ oder „Lappländer-Kolonien“. Als Veranstalter traten aber immer seltener die Gebrüder Hagenbeck sondern Nachahmer jeder Cloer auf, die oft mit Mini-Ensembles in Kirmesbuden, Wirtshaussälen, Vereinshäusern oder der Tonhalle auftraten. Das Niveau – soweit man überhaupt davon sprechen kann – sank rapide. Auch bei den Menschenschauen der anderen Art. Hier meldeten sich sogar erste Kritiker zu Wort. 1896 bemerkte der Kolumnist des Düsseldorfer Volksblattes: „Ob der Anblick eines abnormen Kindes besonders schön ist, das hängt von jedermann eigenstem Geschmack ab, nach meiner unmaßgeblichen Ansicht soll man keinen Menschen, auch keine Wunderkinder, wie ein Wundertier zur öffentlichen Begaffung ausstellen, das verträgt sich mit der Menschwürde nicht“.

Die letzte Völkerschau in Düsseldorf fand Pfingsten 1937 im Rahmen einer NS-Kolonialtagung statt. Auf dem Zoogelände war ein „Negerdorf“ aufgestellt, das zur „Belebung“ von „über ein Dutzend Eingeborener aus unseren afrikanischen Kolonien (!) bevölkert“ wurde, um „den Besuchern einen Einblick in das Eingeborenenleben zu ermöglichen“. Soweit bekannt, blieb das Besucherinteresse weit hinter den Erwartungen zurück. Die erschreckende Nähe der Inszenierung von Menschen neben Tieren in Käfigen vor der „exotischen“ Kulisse des Zoologischen Gartens hatte in Düsseldorf endlich eine Ende gefunden. Leider nicht auch gleich alle bis dahin kultivierten Stereotype.