Stadt-Teilchen Wo die Red Hot Chili Peppers (fast) nackt Zugaben spielte
Düsseldorf · Die vergessenen Orte der Düsseldorfer Musikgeschichte – es sind einige.
Neulich kam ich am Anbau des Wilhelm-Marx-Hauses vorbei, also an dem Gebäude, wo das FFT noch besonderes Theater anbietet, wo ich auch mal gearbeitet habe. Mitte der 80er Jahre war ich dort eine Weile Pressesprecher des Jungen Theaters in der Altstadt und vorher kurz Chef der Jungen Aktionsbühne (JAB). Ich habe Veranstaltungen fürs Jugendamt ausgerichtet und vor allem Jazzbands gebucht. Nicht weil ich Jazz so gerne mochte, sondern weil sich beim Jazz die Besucher so ausnehmend brav verhielten.
Selten bekam ich Ärger mit denen, und wenn ich sie gefragt hätte, ob sie nach dem Konzert beim Stühlestapeln helfen würden, wären sie wohl auch dazu bereit gewesen. Das wildeste Konzert, das ich damals veranstaltete, war eines mit Pension Winnetou, einer rheinischen Viererformation, die mit Bass, Schlagzeug, Trompete und Gitarre die Grenzsteine des Genres neu setzte. Erst kürzlich ist die damals entstandene Platte bei Moers Music neu veröffentlicht worden. Ich kann nicht sagen, dass ich die Musik sehr mochte, aber ich merkte schon, dass da etwas Neues entstand, etwas Großes.
Wie klein mein Großes in Wahrheit war, zeigte sich allerdings erst nach meinem Abschied von der JAB. Dort übernahm mein Freund Konrad Schnabel die Leitung und zeigte mir, wie es richtig geht. Von einem Jahr aufs andere verdoppelte er die Zuschauerzahlen, weil er sich eben nicht scheute, auch mal nicht ganz so bequeme Gäste zu akzeptieren. Auf einmal waren die von mir engagierten Jazzer raus, auf einmal gastierten da auch wilde Combos. Auf der Jungen Aktionsbühne sah ich Brings, als die noch nicht karnevalsverseucht waren und mit langen Föhnfrisuren noch versuchten, wie die deutsche Entsprechung zu Bon Jovi zu klingen.
Viel nachhaltiger blieb mir allerdings das Konzert einer kalifornischen Band im Wilhelm-Marx-Haus-Anbau in Erinnerung. Nicht unbedingt wegen der Musik, die ich eher gewagt fand, sondern vor allem wegen der Tatsache, dass die Musiker zur Zugabe splitterfasernackt auf der Bühne erschienen und lediglich ihr bestes Teil mit einer Socke verhüllten. Da dachte ich: Wow, was die sich trauen! Das will ich auch.
Fans werden schon wissen, dass ich hier von den Red Hot Chili Peppers schwärme. Ja, genau von der Combo, die heutzutage ohne Probleme große Stadien füllt und auf Festivalplakaten ganz oben aufgeführt wird, die aber 1988 noch eher zu den aufstrebenden Formationen gehörte. Diese Band hat mal im Wilhelm-Marx-Haus gespielt. Im Minisaal im zweiten Stock vor höchstens 500 zugelassenen Zuschauern. Ein großer Moment für alle, die dabei waren.
Daran musste ich denken, als ich vor dem Haus stand, an dessen Fassade immer noch „Die Brücke“ steht als Reminiszenz an das Bildungszentrum, das nach dem Krieg im benachbarten Carsch-Haus seine Arbeit aufnahm. Es ist inzwischen lange her, dass hier mal eine Band von Bedeutung gespielt hat, und wenn das FFT demnächst zum Bahnhof zieht, ist mit Kultur gleich ganz Schicht.
Das ist wohl so in einer großen Stadt. Jene Orte, die Geschichte schreiben, kommen irgendwann an das Ende eben dieser. Es gibt so einige Orte, die nicht mehr sind, was sie mal waren, die aber mal was ganz Großes waren.
Ich erinnere nur mal an die Europahalle, die einst gegenüber den Rheinterrassen stand. Ich weiß nicht mehr genau, ob sie wirklich Europahalle hieß, aber ich weiß ganz genau, dass Anfang der 70er Jahre dort die Woodstock-erprobte Band Canned Heat spielte und dass die Karten für dieses Ereignis acht Mark kosteten. Das war uns armen Schülern, die wir fünf Mark Taschengeld im Monat bekamen, natürlich zuviel, weshalb wir vor der Halle lagerten, das Wummern von drinnen hörten und unseren eigenen Boogie veranstalteten. Irgendwann gegen Mitte des Konzerts schloss dann die Abendkasse und wir konnten reinschlüpfen in die eher karge Halle. Schnell stand fest, dass es vor der Halle in Erwartung des Konzerts besser geklungen hatte als direkt vor der Bühne. Dort herrschte infernalischer Lärm, der nur schwerlich noch als Bluesrock zu identifizieren war.
Wie viel differenzierter hatte es da ein paar Jahre vorher doch gleich um die Ecke geklungen. Da spielten in der Kongresshalle der Alten Messe, also dort, wo heute Ergo seine Kunden gegen alles mögliche versichert, die Bee Gees. Am 14. November 1968 war das, und ich hatte meinen Vater überreden können, mit mir da hinzugehen. Ich weiß noch, wie ich während des Konzerts durch die wohlgeordneten Stuhlreihen streifte und mit meiner Agfa Klick Fotos von meinen Stars machte.
Wochen später wollte ich beim Drogisten meines Vertrauens die entwickelten Fotos abholen, aber der Mann im weißen Kittel drückte mir nur die Negative in die Hand und erklärte sie für unbrauchbar. Alles grau. Zu wenig Licht für meine Billigkamera. Dem Frust stand allerdings die Erinnerung an ein großes Konzerterlebnis gegenüber. Ich hatte Barry, Robin und Maurice Gibb in echt gesehen. Das kann mir keiner mehr nehmen.
Heute erinnert auf dem Ergo-Gelände nichts mehr an die Bee Gees oder an Canned Heat. Diese Konzertorte sind verloren für immer. Ein bisschen erhalten ist nebendran noch der Robert-Schumann-Saal, auch wenn der heute ganz anders aussieht als in den 70er Jahren, als ich dort Insterburg & Co blödeln sah.
Meine Suche nach verlorenen Konzertorten führte mich zwischenzeitlich auch an die Ellerstraße. Im dort gelegenen Lessing-Gymnasium gab es Anfang der 70er Jahre oft wilde Schulpartys, und auf einem dieser Feste spielten die damals noch jungen Kraftwerk. Ich erinnere mich noch, wie Florian Schneider-Esleben vor einem großen Kasten mit vielen Drähten saß, der eine Art Synthesizer war. Dazu spielte er „Ruckzuck“ auf der Querflöte. Ich fand das sehr abenteuerlich.
Ich wanderte weiter zur Ronsdorfer Straße, wo einst das berühmte Tor 3 für Konzerte sorgte. Dort habe ich 1987 die jungen Guns‘n‘Roses gesehen und später noch Lenny Kravitz und Robbie Williams. Ich stand direkt vor der Bühne. Hier ich und zum Greifen nah die Stars, die damals noch nicht ganz so große waren. Das war noch echte Nähe zur Musik, und selbst in der letzten Reihe im Tor 3 war man den Musikern näher als man ihnen heute aufgrund von riesigen Sicherheitsabständen in der ersten Reihe eines Stadionkonzerts ist. Heute geht auch das Tor 3 als verlorener Konzertort durch.
Zu den Lost Locations zählt natürlich auch das Rheinstadion, wo ich 1998 die Rolling Stones gesehen habe und nicht so doll fand, weshalb das Rheinstadion bald danach abgerissen wurde. Als Pressevertreter durfte ich Mitte der 90er auch dabei sein, als die Toten Hosen ein Weihnachtskonzert in der Ulmer Höh gaben. Ich stand mit den Knackis in einer Reihe und schaute, welche musikalische Bescherung Campino und Konsorten da so ausrichteten. Zwei Tage später warf mich ein grippaler Anfall für eine komplette Woche aufs Krankenbett. Ich verbrachte Heiligabend mit hohem Fieber. Ein Schelm, wer da Zusammenhänge sieht.
Auch im Flughafen gab es einst interessante Töne zu hören. Als 1984 an Terminal 2 gearbeitet wurde, veranstaltete das Stadtmagazin „Überblick“ ein großes Sommerfest auf der Baustelle. Dort trat nicht nur Der Plan auch, sondern auch Andreas Dorau, der immer so schön von „Fred vom Jupiter“ sang.
Das Plakat davon habe ich immer noch. Es wurde ein erhebender, wenn auch aufgrund der örtlichen Verhältnisse leicht chaotischer Abend, der möglicherweise lange nicht so packend war wie er sich in der Erinnerung später verklärte.
Aber Erinnerungen an Konzerte und ihre Orte sind oft sowieso viel besser als die eigentlichen Anlässe selbst. In der Erinnerung sind auch Sachen groß, die am Tag des Geschehens eher mickrig ausfielen. Daher ist es verständlich, dass ich manchmal davon träume, auch nur mit einer Socke bekleidet zur Zugabe zu erscheinen.
Keine Angst, ich träume nur. Es besteht kein Anlass zur Befürchtung, dass ich das jemals noch in die Tat umsetzen werde. Aber so ist das nun mal mit dem musikalischen Showgeschäft. Es vermischt Traum und Schaum zum ultimativen Erinnerungserlebnis.Und Erinnerung ist immer auch das, was man draus macht.