Interview Düsseldorfer Avantgardefilmer Lutz Mommartz gastiert in Oberhausen
Regisseur Lutz Mommartz zeigt seine Filme bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen. Im Interview erzählt der Düsseldorfer wie er das Kino mit seinen Werken verändert hat.
Düsseldorf. Die „Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen“ starten heute zum 64. Mal. Das älteste Kurzfilmfestival der Welt zeigt bis zum 8. Mai über 500 Filme aus 64 Ländern. Im diesjährigen Programm „Abschied vom Kino“ widmen sich die Veranstalter dem Umbruch im Kino, der in den 1960er Jahren einsetzte. Filmemacher suchten nach Alternativen zum „alten“ Kino, das hauptsächlich darauf setzte, die Zuschauer mit Unterhaltungsfilmen für ein paar Stunden aus dem harten Lebensalltag in schöne Traumwelten zu entführen.
Die neue Kino-Avantgarde brach mit gewohnten Film-Konventionen (etwa das Happy End) und experimentierte mit neuen Stilmitteln. Keine Geschichten zum Eintauchen, stattdessen wandten sich Schauspieler an den Zuschauer und sprachen über den Film, in dem sie gerade mitwirkten. Genauso erweiterten Regisseure den Film mit Mitteln der bildenden Kunst und brachte ihn sogar als bildhauerisches Objekt ins Museum. Der Zuschauer sollte nicht nur passiv konsumieren, sondern sich mit dem Gezeigten kritisch auseinandersetzen. Als einer der Pioniere des experimentellen Films gilt Lutz Mommartz. Der 84-jährige Filmemacher lebt und arbeitet in Düsseldorf. Oberhausen zeigt nun sein legendäres „Zweileinwandkino“ (1968) und den Film „Soziale Plastik“ (1969) mit Joseph Beuys. Im Interview mit der WZ erzählt Mommartz, warum er ein anderes Kino machen wollte.
Herr Mommartz, warum haben Sie in den 1960ern gegen das herkömmliche Kino rebelliert?
Lutz Mommartz: Ich habe nicht gegen das Kino rebelliert, sondern gegen das Denken überhaupt damals, gegen das Angepasstsein an die Normen, die das Kino vorgab. Das bedeutete, dass wir nicht ändern konnten, dass Drehbücher gemacht wurden, aber ich wollte ohne Drehbuch leben.
Was störte Sie an Drehbüchern?
Mommartz: Der Ausgangspunkt war 1964. Ich hatte einen Bekanntenkreis, der interessierte sich aus irgendeinem Grund für das, was ich machte. Und dann ich hab ich dieses Grüppchen vor die Kamera gesetzt und gefragt: Was haben wir denn für einen Inhalt? Und ehrlicherweise haben wir festgestellt: Wir haben keinen Inhalt. Und dann wurde klar, was wir für einen Inhalt hatten. Das Warten auf einen Inhalt. Ich will dem Zuschauer direkt zeigen, was ich meine, und nicht indirekt über einen Spielfilm seine Meinung beeinflussen. Ich bin der Mensch, der das Durchsichtige liebt.
1968 haben Sie mit Formen des sogenannten „Expanded Cinema“ (erweiterten Kinos) experimentiert und das „Zweileinwandkino“ erfunden.Was verbirgt sich dahinter?
Mommartz: Das ist ein Gegenüberkino. Zwei Leinwände, jeweils drei Mal vier Meter groß, stehen im Abstand von zehn Metern einander gegenüber. Der Film läuft auf beiden Leinwänden. In beiden Leinwänden befindet sich ein Loch, hinter dem ein Projektor den Film auf die gegenüberliegende Leinwand wirft. Das Loch sollte die Zerstörung des normalen Bildes bedeuten, das ist nicht heilig.
Der Zuschauer ist dann ja angehalten, aktiver zu schauen …
Mommartz: Ja, der Zuschauer steht zwischen den beiden Leinwänden und ist Teil des Films. Er wird emanzipiert, indem er selber über sein Sehen bestimmt.
In Oberhausen zeigen Sie zwei Remakes dieser Vis-à-vis-Filme. Einer nennt sich „Links-Rechts“. Wovon handelt er?
Mommartz: „Links-Rechts“ zeigt auf der einen Leinwand einen Mann, dargestellt von Künstler Sigmar Polke, auf der anderen Leinwand eine Frau, gespielt von der Galeristin Kiki Meyer. Beide langweilen sich in ihren Wohnzimmern, dann telefonieren sie, bis sie die Leinwand wechselt und bei ihm im Zimmer erscheint. Dort entwickelt sich ein Flirt. Er geht Bier holen, inzwischen wechselt die Frau wieder Leinwand und Zimmer. So geht es hin und her, bis die beiden mit einer Kissenschlacht beginnen. Die fliegen Kissen von einer Leinwand zur anderen.
Der andere Zweileinwandkino-Film nennt sich „Gegenüber“, 1968 gedreht in der Düsseldorfer Künstlerkneipe „Creamcheese“. Was zeigt er?
Mommartz: Auf der einen Seite ist ein Mann, auf der anderen Seite eine Frau. Beide bewegen sich auf einem Podest, von wo aus sie einen Projektor bedienen. Sie projizieren also gegenseitig ein Bild voneinander. Dann fängt sie an zu tanzen, er beobachtet sie gebannt, bis sie beide erschöpft vor den Projektoren liegen.
Szene aus "Soziale Plastik": Joseph Beuys schaute in die Kamera und stellte sich ein anonymes Publikum vor. Foto: Lutz Mommartz)
Die Kurzfilmtage präsentieren auch Ihren Film „Soziale Plastik“ mit Joseph Beuys. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Mommartz: Wir kannten uns schon, er hatte meine Filme gesehen und hat meine Idee zu „Soziale Plastik“ verstanden. Ich habe Beuys in meine Wohnung eingeladen und ihn auf einen Stuhl gesetzt. Er sollte frontal in die Kamera schauen und sich den anonymen Zuschauer im Kino vorstellen, ohne zu sprechen. Ich habe also einen Macher vor die Kamera gesetzt, von dem alle wussten, der tut viel, der ist aktiv, und der sitzt jetzt als Empfänger des Zuschauers da.
Unverkennbar spielt in Ihren Filmen die Ironie eine wichtige Rolle …
Mommartz: Ja. Ironie ist das, was zum Sehen notwendig ist. Sie ist ein Mittel der Distanz zu den Dingen und dann bin ich frei.
Lutz Mommartz wurde 1934 geboren. Von 1952 bis 1975 arbeitete er in der Düsseldorfer Stadtverwaltung. Damit finanzierte er sich seine Experimentalfilme. Mit seinem "Zweileinwandkino" wurde er 1968 zur documenta 4 eingeladen. Es konnte lange nicht gezeigt werden, weil das Filmmaterial zerschlissen war. 2014 hat das Düsseldorfer „inter media art institute“ die Filme restauriert. Nun ist die Installation in Oberhausen zu sehen.
Die 64. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen dauern bis zum 8. Mai.