Obdachlosigkeit Wie die Diakonie in Düsseldorf die Gesundheit von Wohnungslosen verbessern will

Düsseldorf · Projekt „Gesund.Zeit.Raum“ wurde von der Hochschule ausgewertet. Und Hans hat den ersten Schritt gemacht.

Die Diakonie kümmert sich mit einem Projekt um die Gesundheit von Wohnungslosen.

Foto: Bernd Schaller

Hans (Name von der Redaktion geändert) hat mal geheiratet. Er wird getanzt, gelacht und seine Braut geküsst haben. Aber das ist lange her. Heute ist Hans 55 Jahre alt und seit drei Jahren wohnungslos. Ein sehr bescheidenes Geld verdient er mit gelegentlichen Verkäufen von Socken. Nicht über das Internet, er habe hier und da ein paar Abnehmer, wie er sagt. Geld vom Staat bekommt er noch nicht. „Da müsste ich mich wohl mal drum kümmern“, sagt er mit leiser Stimme. Wie um seine Zähne. Er hat ein paar Lücken. Der Kostenvoranschlag vom Zahnarzt ist schon gemacht, Hans ist auch krankenversichert. Allerdings über seine Ex-Frau. Und da ist der Kontakt derzeit schwierig. Deshalb ist die Krankenkasse auch noch nicht aktiv. Und Hans muss noch auf neue Zähne warten.

Es sind Fälle wie diese, die die Düsseldorfer Diakonie mit ihrem Engagement für Wohnungslose seit Jahrzehnten begleitet. Neben der Versorgung in drei Anlaufstellen mit Mahlzeiten, Duschen und Beratung ist das Thema Gesundheit bei Obdachlosen eines, das besondere Aufmerksamkeit fordert. Seit drei Jahren wird dem mit einem neuen Projekt begegnet: Das Pharmaunternehmen Janssen aus Neuss unterstützt die Diakonie jährlich mit einer sechsstelligen Summe speziell für Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit. Um zu erfahren, wie erfolgreich das Ganze ist, wurde das Projekt „Gesund.Zeit.Raum“ nun ein Jahr lang wissenschaftlich begleitet. Prof. Dr. Reinhold Knopp von der Hochschule Düsseldorf stellte die Ergebnisse am Dienstag in den Räumen der Fachberatungsstelle Horizont an der Neusser Straße vor. Unten herrschte der mittägliche Trubel im Café mit vielen Bedürftigen wie Hans, oben war das Pressegespräch.

Wohnungslose müssen für eigene Gesundheit sensibilisiert werden

Wohnungslose bekommen im Diakonie-Projekt ein Mal pro Woche ein gesundes Frühstück.

Foto: Bernd Schaller

Zunächst eine gute Nachricht: Mit den Auswertungen von Reinhold Knopp lässt sich ein positives Fazit für die Sinnhaftigkeit des Gesundheitsprojekts ziehen. „Wir konnten bestätigen, was einige Studien vor uns bereits herausgefunden haben: Dass die meisten Menschen ohne Wohnung deutlich weniger auf ihre eigene Gesundheit achten als Menschen mit einer Wohnung. Erst wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, sie immer wieder mit einem Umfeld in Kontakt kommen, das Gesundheit aktiv thematisiert und fördert, werden sie auch für die eigenen Leiden empfindsamer“, erklärt Knopp.

Kai Lingenfelder ist der Leiter des Projekts, von den Wohnungslosen wird er gerne „der Gesundheitsminister“ genannt. „Es gibt Wohnungslose, die seit zehn Jahren mit schlechten Zähnen herumlaufen. Aus verschiedensten Gründen, auch aus Scham oder wegen fehlendem Antrieb, tun sie nichts dagegen. Erst wenn ihnen der Zugang zur Gesundheit erleichtert wird, passiert etwas.“

Das neue Projekt ist im Grunde genommen eine Erweiterung des bestehenden Diakonie-Engagements. Mit neuen Schwerpunkten: Zum Beispiel das wöchentliche „gesunde Frühstück“ oder der „Well-being-Tag“. Das Frühstück kostet die Wohnungslosen einen Euro und es gibt Fisch, Ei, Salate, Obst und Smoothies. Der Well-being-Tag findet etwa vier Mal im Jahr statt und fördert auch die Beweglichkeit und geistige Fitness der Besucher – und natürlich das Miteinander. Durch das Projekt konnten auch zwei zusätzliche Stunden am Arztmobil pro Woche realisiert werden. Außerdem gibt es die offene Runde „Frag den Doc“ oder ein Fußpflege-Angebot.

„Wir wissen nie genau, wie viele Leute zu uns kommen und das Gesundheitsangebot nutzen. Denn das ist anonym. Aber im letzten Jahr sind beim wöchentlichen gesunden Frühstück 5000 Smoothies weggegangen“, sagt Lingenfelder. 2000 Menschen kommen jährlich allein ins Horizont, viele Personen werden wegen der Anonymisierung natürlich mehrmals gezählt. Bei einer Zählung, für die zwei Tage lang auch die Namen der Bedürftigen gespeichert wurden, kam heraus, dass 321 verschiedene Personen in diesem Zeitraum alle drei Anlaufstellen der Diakonie besucht hatten. Zum Vergleich: In ganz Düsseldorf gibt es mindestens zehn Mal so viele Wohnungslose.

An der Befragung über das Projekt durch das Team von Reinhold Knopp haben knapp 150 Wohnungslose teilgenommen. Das ist nach Schätzungen der Diakonie etwa die Hälfte derer, die das Gesundheitsangebot insgesamt nutzen. Knapp 78 Prozent der Befragten haben angegeben, dass das Projekt sie positiv beeinflusst hat, dass es ihnen jetzt besser geht. Auf die Frage, ob ihnen das Projekt wichtig ist, antworteten etwa 77, dass dem so sei und dass sie sich die Termine vormerken würden. „Und das Vormerken ist in der Lebenssituation der Wohnungslosen etwas Besonderes“, sagt Kai Lingenfelder.

„Die quanitativen Befragungen per Fragebogen sind das eine“, sagt Knopp, „viel spannender waren die qualitativen Befragungen in Form von direkten Interviews. Da kam so viel Biografisches und auch Geografisches heraus, das war für mich sehr anrührend.“ In diesen Gesprächen habe sich noch mal der Eindruck verstärkt, dass die meisten mit dem Angebot sehr zufrieden seien. Ob das Projekt am Ende dazu führt, dass die Menschen mehr auf sich achten, ihre Gesundheit in den Griff bekommen und am Ende vielleicht sogar wieder eine Wohnung und ein geregeltes Leben haben können, sei schwer zu beantworten. „Wir bekommen nicht immer eine Rückmeldung. Irgendwann brauchen die Leute unsere Hilfe nicht mehr, ziehen weiter und kommen nicht mehr. Nur manchmal kommt jemand zurück und erzählt von seinem neuen Leben. Das sind dann die Sternstunden der Sozialarbeit“, sagt Kai Lingenfelder.

Bei der Befragung kam auch heraus, dass 83 Prozent angaben, eine Versicherung zu haben. Oft sei das so aber gar nicht der Fall. Manche hätten zwar noch ihre Karte, wüssten aber gar nicht, dass der Versicherungsschutz nicht mehr besteht. Bei anderen ist es wieder so kompliziert wie in Hans’ Fall. Der Besuch beim Zahnarzt hätte ohne die Beratung der Diakonie wohl nicht stattgefunden. Ein erster Schritt. Bis zu den neuen Zähnen sind es noch ein paar mehr. Für das Gesundheitsprojekt ist Hans aber sehr dankbar. „Mein Geld reicht eigentlich nur für Pommes mit Majo. Wenn man dann mal so etwas Gesundes wie bei diesem Frühstück zu essen bekommt, macht das schon froh.“